Predigttext: Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und a verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
„Der Tag, nach dem im Leben von Raimund Gregorius nichts mehr sein sollte wie zuvor, begann wie zahllose andere Tage. Er kam um Viertel vor acht von der Bundesterrasse und betrat die Kirchenfeldbrücke, die vom Stadtkern hinüber zum Gymnasium führt. Das tat er an jedem Werktag der Schulzeit, und es war immer Viertel vor acht. […] Gregorius blickte nach vorn zu den spitzen Türmen des Historischen Museums der Stadt Bern, hinauf zum Gurten und hinunter zur Aare mit ihrem gletschergrünen Wasser. Ein böiger Wind trieb tiefliegende Wolken über ihn hinweg, drehte seinen Schirm um und peitschte ihm den Regen ins Gesicht. Jetzt bemerkte er die Frau mitten auf der Brücke. Sie hatte die Ellbogen auf das Geländer gestützt und las im strömenden Regen, was wie ein Brief aussah. Sie musste das Blatt mit beiden Händen festhalten. Als Gregorius näher kam, zerknüllte sie das Papier plötzlich, knetete es zu einer Kugel und warf die Kugel mit einer heftigen Bewegung in den Raum hinaus.“ (Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon. © 2004 Carl Hanser Verlag, München. S.13)
An diesem Morgen wird Raimund Gregorius diese Frau davor retten, in den Fluss zu springen und sich das Leben zu nehmen. Und die schöne Unbekannte wird sich ihm mit nur einem einzigen Wort als Portugiesin vorstellen. Sie wird ihm in die Schule, in das Gymnasium folgen und an einer Lateinstunde teilnehmen. Mitten in dieser Stunde wird sie wieder verschwinden und doch in dieser kurzen Begegnung, findet sich die Berührung zwischen Leben und Tod und die Rettung eines Lebens. In einer einzigen Stunde ändert sich alles für Raimund Gregorius. Er verlässt noch am selben Tag die Schule. Den kleinen Kosmos, der bislang seine ganze Welt war. Er wird sich eine Nacht in seiner Wohnung verstecken und eine Fahrkarte nach Lissabon kaufen und noch am frühen Morgen losfahren.
So beginnt der wunderbare Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier. Vielleicht haben Sie es gelesen, vielleicht mit dabei als Urlaubslektüre, vielleicht den Film gesehen – ein wunderbares Buch und ein wunderbarer Film. Es beginnt mit einem unvermittelten Aufbruch, der total sinnlos scheint. Raimund Gregorius, genannt Mundus – die „Welt“, weil sich in jedem Menschen eine ganze Welt wiederfindet. Mundus kann sich selbst nicht erklären, warum er aufbricht. Und entsprechend lange braucht er in dieser einen Nacht für eine einzige Nachricht an den Rektor seiner Schule, in der er so viele Jahrzehnte war. Eine Nachricht, mit der er sich verabschiedet und sich auf eine Reise begibt, die ganz offen ist. Bei der er nicht weiß, wann und ob er überhaupt jemals zurückkommen wird.
Mit diesem Roman kommt zu den beiden Gleichnissen von Jesus noch eine dritte Geschichte hinzu. Und alle drei legen sich gegenseitig aus. Denn so kurz und prägnant, so klar und schlicht die Gleichnisse scheinen, hinter jedem verbirgt sich eine ganze Lebensgeschichte und vor allem ein unerklärlicher Bruch. In allen geht es um einen Helden, einen Protagonisten, der etwas vollkommen Irritierendes tut. Etwas, was sein bisherigen Leben aus den Angeln hebt. Es ist verrückt. Und gleichzeitig absolut notwendig. Es ist nicht zu verstehen für die Umwelt, aber im tiefsten Inneren ist es sinnvoll. Und wir alle haben in uns eine Ahnung, dass einem so etwas begegnen kann. Ein Moment in deinem Leben, der alles verändern kann. Und es sind diese Momente und auch Erfahrungen, nach denen wir uns heimlich sehnen und sie zugleich fürchten und ihnen deshalb vielleicht niemals oder nur ganz wenig begegnen werden.
In den beiden Gleichnissen, die wir gehört haben, denke ich, ist das Gleichnis vom Schatz im Acker noch das, das uns so am nächsten, am griffigsten scheint. Das leuchtet ein: „Findest du einen Schatz im Acker, dann kauf dir den Acker. Gib alles daran und du bist reich.“ Aber um die ganze Geschichte wirklich zu verstehen, muss einer arm sein wie eine Kirchenmaus und gleichzeitig ein Schlitzohr allererster Kajüte. Es ist ein Tagelöhner, der auf dem Acker eines Großgrundbesitzers einen Schatz findet. Erst am Morgen hat er sich gefreut, überhaupt diese kleine Arbeit für einen Tag zu bekommen. Für einen Tag ist der Unterhalt seiner Familie gesichert. Und jetzt findet er einen ganzen Schatz. Und er weiß das, was jeder weiß: So etwas muss man abgeben. Dieser Schatz gehört dem, dem der Acker gehört. Aber der ist doch schon so reich und ein Finderlohn, ob ich den überhaupt bekomme? Das fragt sich der Mann und bedeckt den Schatz schnell wieder mit Erde, dann geht er davon, nach Hause. Und ohne sich jemandem zu erklären, verkauft er alles, was er hat. Dann geht er hin und kauft den Acker. Alle wundern sich, seine Frau zetert, versteht die Welt nicht. Aber jetzt muss er wirklich klug und vorsichtig sein. Das mit dem Schatz darf nämlich wirklich niemand wissen, sonst muss er ihn zurückgeben – auch noch Tage, Wochen und Monate später. Also heimlich, still und leise, so, dass es nicht auffällt, ganz leise darf er seinen unvermuteten Reichtum einfließen lassen in seine weiteren Ackergeschäfte, ein wirkliches Schlitzohr. Und ob es ihm auch gelungen ist, das bleibt noch offen. Aber er gibt alles daran und wagt es so, wie der Perlenhändler, der auf der ganzen Welt nach wunderbaren Perlen gesucht hat und dann eine unglaubliche, wunderbar vollkommene Perle findet, groß und schön. Und er verkauft alles, was er hat, um die eine einzige zu kaufen. Dieses Gleichnis ist wirklich noch irritierender, denn in diesem Augenblick hört der Perlenhändler auf, ein Perlenhändler zu sein. Diese eine Perle wird er niemals wieder verkaufen, denn mit ihr hat er alles gefunden, was sein Suchen zum Ziel führt. Wovon er jetzt leben soll, bleibt offen. Aber er hat die eine Perle gefunden. Wie soll er das erklären? Es bleibt offen. Und es kommt noch ein Zitat aus dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“:
„Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier. Lange Zeit habe ich geglaubt, das sei ein Mangel, etwas, das es zu überwinden gelte. Heute denke ich, daß es sich anders verhält: daß die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg zum Verständnis dieser vertrauten und doch rätselhaften Erfahrungen ist. Das klingt sonderbar, ja eigentlich absonderlich, ich weiß. Aber seit ich die Sache so sehe, habe ich das Gefühl, das erstemal richtig wach und am Leben zu sein.“ (Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon. © 2004 Carl Hanser Verlag, München. S.28f.)
Und genau das, was Pascal Mercier wunderbar in Worte fasst, genau das haben Menschen bei Jesus gefunden. Das Gefühl, das erste Mal richtig wach und lebendig zu sein, weil er ihnen geholfen hat, durch alle Irrtümer und Verwirrungen hinab zu steigen, wie ein Archäologe in die Tiefen der eigenen Seele, die Färbung, die Farbe, die Melodie des eigenen Lebens zu hören. Und aufrichtig zu suchen nach neuem Klang, Wahrheit und Harmonie. Hinabzusteigen in die Tiefen der eigenen Seele und wieder heraufzukommen, mit schlichter, einfacher Klarheit, dass die Liebe das größte ist und diese ganz Welt zusammenhält. Dass es sich lohnt das einfache Leben zu wählen und wenn du nicht weißt wie es geht, Jesus zu folgen. So stehen sie auf, die Jünger: Matthäus geht weg vom Zoll, schaut sich nicht nochmal um. Petrus und Andreas verlassen ihre Fischerboote und nicht nur das, sondern auch ihre Familien. Und es sind viele, viele, die ihnen weiter folgen und die sich festhalten an so einfachen Worten wie: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Mit nichts kannst du deinem eigenen Leben, einen Tag oder nur eine Elle hinzufügen. Keinen Tag kannst du dir kaufen und in jedem Tag neu ist die Berufung, zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und so aufgerüttelt und aufgeweckt ließen die Menschen alles hinter sich und wussten in dem Moment, wo sie losgingen, so wenig wie Mundus Gregorius, wo sie das hinführt. Gregorius geht mitten an einem Schultag weg, mitten im Schulbetrieb. Wir warten meist bis zu den Ferien, wenn Urlaub ist. Dann machen wir uns auf, genießen die Zeit herauszutreten aus alltäglichen Rhythmen, für manchen sogar eine Tretmühle. Treten heraus, um das Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und um uns vorzustellen, wie es wäre, wenn man vielleicht immer am Meer leben würde. Das wäre bestimmt anders, als in den Vorstellungen, die einem in den Sinn kommen, wenn man hier am Meer spazieren geht, oder die Sonne untergehen sieht, oder die Sonne aufgehen sieht. Aber es kommt auch gar nicht darauf an, ob diese Fantasien und Ideen dann wirklich so umsetzbar wären, sondern es kommt darauf an, dass unser Geist wach bleibt und Ideen und Bilder aufsteigen können aus unserer Seele. Wo wir uns vorstellen können, wie es ist, dass das Himmelreich beginnt und wir mit dabei sind und das Leben gelingt.
Wenn Jesus mit seinen Gleichnissen heute hier nach Sylt käme, dann würde er die allerschönsten Juweliergeschäfte finden. Perlen, vielleicht noch schöner als er sie damals im Sinn hatte. Ich glaube, er würde wünschen, dass mit jeder Perle, jedem Schmuckstück, das gekauft wird, eine echte Besiegelung wahrer Liebe verbunden ist. Ein wahres Geschenk und kein Ersatz für ungeliebte Liebe. Und er würde spazieren gehen in unserem Dorf und würde schnell erkennen, dass er das Gleichnis vom Schatz im Acker hier nicht so erzählen kann wie damals in Israel, denn jeder Acker auf dieser Insel ist schon selbst ein Schatz. Ich bin sicher, er würde uns erinnern, wie wenig ein Mensch zum Leben braucht. Das aber wirklich nötig. Vielleicht würde er mit uns aus dem Dorf hinaus und mit uns über den Friedhof hier gehen und würde uns feststellen lassen, dass ein Grab auf dem Friedhof von St. Severin bei den aktuellen Bodenrichtwerten dieser Insel wirklich preiswert ist. Und gleichzeitig für den allerkostbarsten Schatz steht, den es gibt: unser Leben von Gott geschenkt. Ein kleines Leben, eine Spanne Zeit, uns anvertraut. Und ein Herz, das glauben, lieben und hoffen kann mit allem, was wir sind, Herz, Geist und Seele. Er würde uns erinnern, dass es lohnt, alles zu lassen, um einzutauchen in die Wunder der Liebe, denn die Liebe in ihren vielfältigen Formen, sie kommt aus Gott, genau wie wir. Und er würde uns helfen zu begreifen, dass wir kleinen Menschen unseren Ursprung in der ewigen Güte und Liebe und Gnade Gottes haben. Dass dieser große Ursprung gerade das ist, was uns verwirrt. Denn wie sollen wir es hineinkriegen in unser kleines Leben? Aber die Anerkennung dieser Verwirrung ist der Königsweg mitten hinein ins Himmelreich, wo wir uns wiederfinden in Gott und behütet sind durch seinen Frieden, der höher ist als alle Vernunft und unsere Herzen und Sinne bewahrt in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de
Predigttext: Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und a verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
„Der Tag, nach dem im Leben von Raimund Gregorius nichts mehr sein sollte wie zuvor, begann wie zahllose andere Tage. Er kam um Viertel vor acht von der Bundesterrasse und betrat die Kirchenfeldbrücke, die vom Stadtkern hinüber zum Gymnasium führt. Das tat er an jedem Werktag der Schulzeit, und es war immer Viertel vor acht. […] Gregorius blickte nach vorn zu den spitzen Türmen des Historischen Museums der Stadt Bern, hinauf zum Gurten und hinunter zur Aare mit ihrem gletschergrünen Wasser. Ein böiger Wind trieb tiefliegende Wolken über ihn hinweg, drehte seinen Schirm um und peitschte ihm den Regen ins Gesicht. Jetzt bemerkte er die Frau mitten auf der Brücke. Sie hatte die Ellbogen auf das Geländer gestützt und las im strömenden Regen, was wie ein Brief aussah. Sie musste das Blatt mit beiden Händen festhalten. Als Gregorius näher kam, zerknüllte sie das Papier plötzlich, knetete es zu einer Kugel und warf die Kugel mit einer heftigen Bewegung in den Raum hinaus.“ (Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon. © 2004 Carl Hanser Verlag, München. S.13)
An diesem Morgen wird Raimund Gregorius diese Frau davor retten, in den Fluss zu springen und sich das Leben zu nehmen. Und die schöne Unbekannte wird sich ihm mit nur einem einzigen Wort als Portugiesin vorstellen. Sie wird ihm in die Schule, in das Gymnasium folgen und an einer Lateinstunde teilnehmen. Mitten in dieser Stunde wird sie wieder verschwinden und doch in dieser kurzen Begegnung, findet sich die Berührung zwischen Leben und Tod und die Rettung eines Lebens. In einer einzigen Stunde ändert sich alles für Raimund Gregorius. Er verlässt noch am selben Tag die Schule. Den kleinen Kosmos, der bislang seine ganze Welt war. Er wird sich eine Nacht in seiner Wohnung verstecken und eine Fahrkarte nach Lissabon kaufen und noch am frühen Morgen losfahren.
So beginnt der wunderbare Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier. Vielleicht haben Sie es gelesen, vielleicht mit dabei als Urlaubslektüre, vielleicht den Film gesehen – ein wunderbares Buch und ein wunderbarer Film. Es beginnt mit einem unvermittelten Aufbruch, der total sinnlos scheint. Raimund Gregorius, genannt Mundus – die „Welt“, weil sich in jedem Menschen eine ganze Welt wiederfindet. Mundus kann sich selbst nicht erklären, warum er aufbricht. Und entsprechend lange braucht er in dieser einen Nacht für eine einzige Nachricht an den Rektor seiner Schule, in der er so viele Jahrzehnte war. Eine Nachricht, mit der er sich verabschiedet und sich auf eine Reise begibt, die ganz offen ist. Bei der er nicht weiß, wann und ob er überhaupt jemals zurückkommen wird.
Mit diesem Roman kommt zu den beiden Gleichnissen von Jesus noch eine dritte Geschichte hinzu. Und alle drei legen sich gegenseitig aus. Denn so kurz und prägnant, so klar und schlicht die Gleichnisse scheinen, hinter jedem verbirgt sich eine ganze Lebensgeschichte und vor allem ein unerklärlicher Bruch. In allen geht es um einen Helden, einen Protagonisten, der etwas vollkommen Irritierendes tut. Etwas, was sein bisherigen Leben aus den Angeln hebt. Es ist verrückt. Und gleichzeitig absolut notwendig. Es ist nicht zu verstehen für die Umwelt, aber im tiefsten Inneren ist es sinnvoll. Und wir alle haben in uns eine Ahnung, dass einem so etwas begegnen kann. Ein Moment in deinem Leben, der alles verändern kann. Und es sind diese Momente und auch Erfahrungen, nach denen wir uns heimlich sehnen und sie zugleich fürchten und ihnen deshalb vielleicht niemals oder nur ganz wenig begegnen werden.
In den beiden Gleichnissen, die wir gehört haben, denke ich, ist das Gleichnis vom Schatz im Acker noch das, das uns so am nächsten, am griffigsten scheint. Das leuchtet ein: „Findest du einen Schatz im Acker, dann kauf dir den Acker. Gib alles daran und du bist reich.“ Aber um die ganze Geschichte wirklich zu verstehen, muss einer arm sein wie eine Kirchenmaus und gleichzeitig ein Schlitzohr allererster Kajüte. Es ist ein Tagelöhner, der auf dem Acker eines Großgrundbesitzers einen Schatz findet. Erst am Morgen hat er sich gefreut, überhaupt diese kleine Arbeit für einen Tag zu bekommen. Für einen Tag ist der Unterhalt seiner Familie gesichert. Und jetzt findet er einen ganzen Schatz. Und er weiß das, was jeder weiß: So etwas muss man abgeben. Dieser Schatz gehört dem, dem der Acker gehört. Aber der ist doch schon so reich und ein Finderlohn, ob ich den überhaupt bekomme? Das fragt sich der Mann und bedeckt den Schatz schnell wieder mit Erde, dann geht er davon, nach Hause. Und ohne sich jemandem zu erklären, verkauft er alles, was er hat. Dann geht er hin und kauft den Acker. Alle wundern sich, seine Frau zetert, versteht die Welt nicht. Aber jetzt muss er wirklich klug und vorsichtig sein. Das mit dem Schatz darf nämlich wirklich niemand wissen, sonst muss er ihn zurückgeben – auch noch Tage, Wochen und Monate später. Also heimlich, still und leise, so, dass es nicht auffällt, ganz leise darf er seinen unvermuteten Reichtum einfließen lassen in seine weiteren Ackergeschäfte, ein wirkliches Schlitzohr. Und ob es ihm auch gelungen ist, das bleibt noch offen. Aber er gibt alles daran und wagt es so, wie der Perlenhändler, der auf der ganzen Welt nach wunderbaren Perlen gesucht hat und dann eine unglaubliche, wunderbar vollkommene Perle findet, groß und schön. Und er verkauft alles, was er hat, um die eine einzige zu kaufen. Dieses Gleichnis ist wirklich noch irritierender, denn in diesem Augenblick hört der Perlenhändler auf, ein Perlenhändler zu sein. Diese eine Perle wird er niemals wieder verkaufen, denn mit ihr hat er alles gefunden, was sein Suchen zum Ziel führt. Wovon er jetzt leben soll, bleibt offen. Aber er hat die eine Perle gefunden. Wie soll er das erklären? Es bleibt offen. Und es kommt noch ein Zitat aus dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“:
„Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdiente. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier. Lange Zeit habe ich geglaubt, das sei ein Mangel, etwas, das es zu überwinden gelte. Heute denke ich, daß es sich anders verhält: daß die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg zum Verständnis dieser vertrauten und doch rätselhaften Erfahrungen ist. Das klingt sonderbar, ja eigentlich absonderlich, ich weiß. Aber seit ich die Sache so sehe, habe ich das Gefühl, das erstemal richtig wach und am Leben zu sein.“ (Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon. © 2004 Carl Hanser Verlag, München. S.28f.)
Und genau das, was Pascal Mercier wunderbar in Worte fasst, genau das haben Menschen bei Jesus gefunden. Das Gefühl, das erste Mal richtig wach und lebendig zu sein, weil er ihnen geholfen hat, durch alle Irrtümer und Verwirrungen hinab zu steigen, wie ein Archäologe in die Tiefen der eigenen Seele, die Färbung, die Farbe, die Melodie des eigenen Lebens zu hören. Und aufrichtig zu suchen nach neuem Klang, Wahrheit und Harmonie. Hinabzusteigen in die Tiefen der eigenen Seele und wieder heraufzukommen, mit schlichter, einfacher Klarheit, dass die Liebe das größte ist und diese ganz Welt zusammenhält. Dass es sich lohnt das einfache Leben zu wählen und wenn du nicht weißt wie es geht, Jesus zu folgen. So stehen sie auf, die Jünger: Matthäus geht weg vom Zoll, schaut sich nicht nochmal um. Petrus und Andreas verlassen ihre Fischerboote und nicht nur das, sondern auch ihre Familien. Und es sind viele, viele, die ihnen weiter folgen und die sich festhalten an so einfachen Worten wie: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Mit nichts kannst du deinem eigenen Leben, einen Tag oder nur eine Elle hinzufügen. Keinen Tag kannst du dir kaufen und in jedem Tag neu ist die Berufung, zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und so aufgerüttelt und aufgeweckt ließen die Menschen alles hinter sich und wussten in dem Moment, wo sie losgingen, so wenig wie Mundus Gregorius, wo sie das hinführt. Gregorius geht mitten an einem Schultag weg, mitten im Schulbetrieb. Wir warten meist bis zu den Ferien, wenn Urlaub ist. Dann machen wir uns auf, genießen die Zeit herauszutreten aus alltäglichen Rhythmen, für manchen sogar eine Tretmühle. Treten heraus, um das Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und um uns vorzustellen, wie es wäre, wenn man vielleicht immer am Meer leben würde. Das wäre bestimmt anders, als in den Vorstellungen, die einem in den Sinn kommen, wenn man hier am Meer spazieren geht, oder die Sonne untergehen sieht, oder die Sonne aufgehen sieht. Aber es kommt auch gar nicht darauf an, ob diese Fantasien und Ideen dann wirklich so umsetzbar wären, sondern es kommt darauf an, dass unser Geist wach bleibt und Ideen und Bilder aufsteigen können aus unserer Seele. Wo wir uns vorstellen können, wie es ist, dass das Himmelreich beginnt und wir mit dabei sind und das Leben gelingt.
Wenn Jesus mit seinen Gleichnissen heute hier nach Sylt käme, dann würde er die allerschönsten Juweliergeschäfte finden. Perlen, vielleicht noch schöner als er sie damals im Sinn hatte. Ich glaube, er würde wünschen, dass mit jeder Perle, jedem Schmuckstück, das gekauft wird, eine echte Besiegelung wahrer Liebe verbunden ist. Ein wahres Geschenk und kein Ersatz für ungeliebte Liebe. Und er würde spazieren gehen in unserem Dorf und würde schnell erkennen, dass er das Gleichnis vom Schatz im Acker hier nicht so erzählen kann wie damals in Israel, denn jeder Acker auf dieser Insel ist schon selbst ein Schatz. Ich bin sicher, er würde uns erinnern, wie wenig ein Mensch zum Leben braucht. Das aber wirklich nötig. Vielleicht würde er mit uns aus dem Dorf hinaus und mit uns über den Friedhof hier gehen und würde uns feststellen lassen, dass ein Grab auf dem Friedhof von St. Severin bei den aktuellen Bodenrichtwerten dieser Insel wirklich preiswert ist. Und gleichzeitig für den allerkostbarsten Schatz steht, den es gibt: unser Leben von Gott geschenkt. Ein kleines Leben, eine Spanne Zeit, uns anvertraut. Und ein Herz, das glauben, lieben und hoffen kann mit allem, was wir sind, Herz, Geist und Seele. Er würde uns erinnern, dass es lohnt, alles zu lassen, um einzutauchen in die Wunder der Liebe, denn die Liebe in ihren vielfältigen Formen, sie kommt aus Gott, genau wie wir. Und er würde uns helfen zu begreifen, dass wir kleinen Menschen unseren Ursprung in der ewigen Güte und Liebe und Gnade Gottes haben. Dass dieser große Ursprung gerade das ist, was uns verwirrt. Denn wie sollen wir es hineinkriegen in unser kleines Leben? Aber die Anerkennung dieser Verwirrung ist der Königsweg mitten hinein ins Himmelreich, wo wir uns wiederfinden in Gott und behütet sind durch seinen Frieden, der höher ist als alle Vernunft und unsere Herzen und Sinne bewahrt in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de