ST. SEVERIN

Predigt Pastorin Zingel – Gottesdienst mit dem Sylter Shantychor

Predigttext Matthäus 8, 23-27

Und Jesus stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, so dass auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief. Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um!  Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?

Liebe Gemeinde,

es war wohl im letzten oder vor zwei Jahren, da gab es einen Aufruhr, denn da tauchten hier im Dorf Hochglanzprospekte von der Tourismusbehörde auf. Da wurde erklärt, dass jedes Dorf hier seine Eigenheit hat und jeweils etwas Besonderes ist. Also ihr lieben Gäste kommt doch mal nach Keitum, denn da stand: „Keitum, das Polo- und Fashion-Dorf“.

„Na“, haben die Keitumer da gesagt „also was immer das ist, das wollen wir nicht. Nein, wir gehören zu den Friesendörfern und Keitum ist und bleibt ein Kapitänsdorf“. So kann man es erkunden und darin spazieren gehen. In Reiseführern wird auch das idyllisch beschrieben, „schattige Pfade und versteckte Wege laden zu schönen Spaziergängen durch das Dorf ein, dass einst Alterssitz der Sylter Kapitäne war.“ Die Sylter Kapitäne hatten hier aber nicht nur ihren Alterssitz, sondern sie wurden hier auch geboren und waren kleine Jungs. Man wusste noch gar nicht, was aus ihnen wird. Wer ist begabt, Kapitän zu werden? Wer geht mit auf See? Es waren ja nicht nur Kapitäne, sondern auch Matrosen, eine ganze Mannschaft war hier im Dorf versammelt. Sie sind hier aufgewachsen, hatten Väter, Mütter, Schwestern und Brüder und waren Teil einer Dorfgemeinschaft. Bei einem idyllischen Spaziergang durch das Dorf mit seinen schön herausgeputzten Häuschen und Häusern kann man sich kaum vorstellen, wie schwer und hart damals der Alltag für die Menschen war. Ich finde unsere Konzentration und unser Interesse für die Kapitäne bemerkenswert. Das steht immer drüber über unserem Dorf. Die Kapitänsfrauen, die Kapitänswitwen, die Söhne und Töchter, die Schwestern und Brüder werden weniger erwähnt. Aber das ganze Dorf war ein Seefahrerdorf.

Kapitäne, das sind die Seefahrer. Aber zu der Zeit, über die am meisten immer erzählt wird, die Walfängerzeit, da hieß es gar nicht Kapitän auf dem Schiff, da suchte man einen Kommandeur. Einen, der die Seefahrermannschaft, die Walfänger, zusammenhalten konnte. Beiden, ob nun Kapitän oder Kommandeur war aufgetragen, für das Ziel des Unternehmens genauso zu sorgen, wie für die Mannschaft und das Schiff. Seine Aufgaben waren Aufbruch und Heimkehr, Gefahren umschiffen, wo nötig Kurs halten. Ein Kapitän konnte nur erfolgreich sein, wenn er wusste, wo es hingeht und in der ganzen Zeit verbunden blieb mit denen, die Zuhause blieben, obwohl es damals gar keine Verbindung gab. Ein guter Kapitän, ein weiser Kommandeur, der war sich immer bewusst, dass er Väter und Söhne an Bord hatte, die Zuhause gebraucht wurden. Unterwegs auf hoher See durfte ihn kein jugendlicher Leichtsinn leiten, kein eigener Vorteil und kein bitterer Gram, sondern Umsicht und Fürsorge und Weitsicht. Man kann zurückschauen und fragen, wie es eigentlich kam, dass die Nordfriesen als Seeleute und Walfänger sehr gefragt waren. Auf jeden Fall konnte man hier ein Meister im Navigieren und Segeln werden, weil es wirklich schwer war, seinen Weg im Wattenmeer zu finden. Wer von hier nach Helgoland kam, der konnte wirklich etwas. Dazu kam, dass die Armut auf der Insel groß war. Und es war genau wie heute, je weniger Heuer einer forderte umso eher wurde er genommen und die Friesen verlangten weniger Heuer als die Spanier. Sie erinnern sich, man fuhr damals nicht direkt von der Insel los ins Eismeer, sondern man musste erst von hier nach Rotterdam, nach Amsterdam oder nach Altona, dort konnte man anheuern auf die großen Schiffe und dann fuhr man von dort ins Eismeer. Was für ein Unternehmen. Wer Kommandeur war, der durfte die Mannschaft zusammenstellen und die Friesen hielten nun mal zusammen. Wurde einer Kommandeur und bekam ein ganzes Schiff so nahm er seine Leute aus seinem Dorf von seiner Insel mit. So kam es, dass die Friesen auf niederländischen, auf englischen und auf dänischen Schiffen segelten. Wir schauen ihnen heute hinterher, für uns sind es ferne, aber spannende Geschichten, in denen wir uns offenbar alle immer wiederfinden.

Keitum, das Kapitänsdorf. Kapitän, das vertraute Wort kommt aus dem lateinischen „Caput“, nicht kaputt, sondern Caput der Kopf, das Haupt. Der Kapitän ist der Kopf der Mannschaft, einer, der für alle zusammen denkt, der vorrausschauend das Ziel im Blick behält und sich nicht in Kleinigkeiten verliert. Ob er wach ist oder schläft, er hat das Ganze im Blick. Die Mannschaft die kann unter Deck gehen, die kann abschalten, sich ablenken. Der Kapitän leitet und lenkt das ganze Geschick,  er hat die ganze Mannschaft mit all ihren Gaben und all ihren Schwächen im Blick. Kommandeur ist auch ein sehr schönes Wort. Kommandeur, Kommandos geben, das klingt irgendwie nach zackig und eine Ansage machen, von oben herab Kommandos. Wie schön wenn man da mal wieder hört, was das Wort eigentlich bedeutet: Kommando von comandare, „Ich gebe es dir in die Hände, ich vertraue es dir an.“ Das ist ein Kommandeur, ihm wird Schiff, Ladung und Mannschaft anvertraut und wenn er ein Kommando gibt, der Kommandeur, dann aus diesem Vertrauen, was der Reeder  in ihn setzt. Dieses gibt er weiter an Steuermann, Matrosen und Walfänger. Ich gebe dir mit jedem Kommando ein Stück der Verantwortung voller Vertrauen weiter, so dass das Ganze gelingt. Der Kopf der Mannschaft, der aus einer Fülle von Vertrauen und Verantwortung weiter gibt.

Starke Bilder sind das, ein Kapitän ist niemand von oben herab, sonder einer, der das ganze sieht und alles mit einbezieht. Ein Kommandeur ist niemand, es sei denn, er ist ein schlechter, der Menschen herumkommandiert, sondern einer, der Vertrauen weiter geben kann, damit Menschen da hineinwachsen.  Dabei muss man sich vorstellen, dass auf diesen Schiffen acht-, neun-, zehnjährige Kinder mitfuhren, kleine Schiffsjungen. Die Mütter gaben ihre Kinder voller Vertrauen auf das Schiff mit, sie gaben sie in die Verantwortung von einem Kommandeur hinein, „Pass gut auf sie auf“. Obwohl es in der Bibel keinen „Kapitän“ und keinen „Kommandeur“ gibt, findet man sie wieder in Christus. Christus, das Haupt der Gemeinde, in diesem Fall wäre es der Kapitän. Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt –  Christus, das Haupt der Gemeinde, der Kapitän. Einer, der das Ganze im Blick behält, wie in der Geschichte, die wir gerade gehört haben. Man fährt raus auf den See, alle Jünger sind wach und schauen ängstlich, sie sind keine Seeleute, Jesus schläft. Der Kapitän kann auch schlafen gehen, muss auch schlafen gehen und mit seinen Kräften haushalten. Aber er hat alles im Blick, im Gefühl, auch im Schlaf weiß er, wir sind hier nicht in Gefahr. In Wahrheit hat er mehr als die anderen im Blick, wir sind getragen und gehalten. Hier, durch dieses Unwetter trägt uns Gottes Güte  hindurch. Und er tritt an dieser Stelle auch auf als Kommandeur, einer der ein Kommando gibt, das sich von uns keiner zu trauen wagte: „Sturm, schweige still“ und der Sturm schweigt still, weil Jesus aus tiefem Vertrauen verbunden ist mit Schöpfergüte und Schöpferkraft und Schöpfermacht.

Das sind große Geschichten. Christus, einer der uns begleitet auf hoher Fahrt. Jeden von uns auf seiner Fahrt, auf seinem Lebenspfad. Und dass wir jetzt nicht versuchen uns auf kleinen Optimistenjollen oder kleinen Ruderbooten oder  Schiffen, die für uns viel zu groß sind irgendwie allein zu behaupten. Behaupten ist auch ein Kapitänswort, sich selbst behaupten. Uns diese Last abzunehmen und zu sagen: „Ich helfe dir, ich gehe mit an Bord, lenke und leite und helfe dir auf deinem Lebensweg“. So ist Christus für uns, einer der nicht in Rotterdam und Amsterdam und Altona zurückbleibt, nicht einer, dem das Schiff gehört, das waren die reichen Reeder. Die saßen da und schickten andere auf hohe See und hofften auf großen Gewinn. Ihnen gehörten die Schiffe, ihnen gehörte auch der größte Teil, wenn das Schiff heil zurück kam vom Gewinn.

Was müssen sie wagen? Sie setzten ihr Schiff, aber sie selber blieben sicher Zuhause. Christus ist einer, der mitgeht an Bord, der die Stürme des Lebens kennt und noch weiter, einer der durch den Tod hindurch gegangen ist, und alles im Blick behält.  A und O, Anfang und Ende, ohne etwas zu verdrängen und zu verschweigen von dem Ernst den unser Leben in sich trägt. Dass wir in diese Welt hineinkommen, unser Lebensweg beginnt, dass wir durch Höhen und Tiefen einem Ziel entgegengehen, dass wir einen Hafen haben in Gott, auf jeden Fall nicht in uns selbst. Einer, der uns lenkt und leitet.

Es gibt dazu eine unglaubliche Geschichte von einem Walfänger: Ein Schiff, ein Walfänger, ein Kommandeur hier von Sylt der ging wieder nach Rotterdam im Februar, Ende Februar fährt man los nach Rotterdam heuert an. Und er kam zum Schiffseigner, zum Reeder und hatte ihm zwei schlechte Jahre eingefahren. Der Schiffreeder sagte: „Du, ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr wieder auf dich setzen soll. Es gibt andere Bewerber.“ Und wie in der Bibelgeschichte, wo der Baum nicht abgehauen wird, sondern ‚ein Jahr geb ich dir noch‘, so sagte der Reeder „gut, einmal noch mach ich dich zum Kommandeur. Such dir eine Mannschaft zusammen und fahr los und bring aber in diesem Jahr wirklich etwas zurück.“  Der Kommandeur stellte seine Mannschaft zusammen und sie gingen aufs Schiff. An ihnen fuhren viele Schiffe vorbei und die machten alle reiche Beute, aber sie fingen nichts. Sie waren nie da, wo gerade der Wal zu finden war und als die anderen schon umkehrten,  sagte der Kommandeur: „Ich setzte alles auf eine Karte, wir fahren weiter, wir bleiben noch hier. Und sie fuhren noch 50, noch 100 Kilometer weiter nach Norden. Und sie fingen den Fang ihres Lebens. Ein Wal, zwei Wale, drei Wale und dann wollten sie zurück, aber es war zu spät, hinter ihnen fror das Eismeer zu. Der Wal, der Fang ihres Lebens, das Schiff gefüllt, aber das Packeis zieht dicht. Sie waren zu weit und zu lange nach Norden gesegelt und damit waren sie eigentlich alle zum Tode verurteilt, denn nur von Tran kann ein Mensch, eine ganze Mannschaft nicht überleben. Tage und Wochen vergingen. In Rotterdam, in Amsterdam kamen die Schiffe zurück und dieses Schiff wurde verloren gegeben. Die Familien ereilte schon die Nachricht, ihnen wurde gesagt, stellt euch darauf ein, eure Männer sind verloren gegangen. Und dann gab es, wie durch ein Wunder im November einen Einbruch von Südwind hinein ins Eismeer, für ein paar Tage nur und es öffnete sich genau dort, wo das Schiff eingefroren war, festgehalten wurde für einige, wenige Tage.  Eigentlich waren es nur Stunden, in den es eine Durchfahrt gab und der Kommandeur befahl die Segel zu setzen und sie fanden den Weg wieder zurück. Nach Wochen segelten sie ein in den Hafen von Rotterdam und wurden begrüßt wie welche, die auferstanden sind von den Toten. Der Schiffeigner war überglücklich, sein Schiff war nicht verloren. Ob er sich gefragt hat, welchen Anteil er daran hat, welchen Druck er mit seiner Gier weitergegeben hat an den Kommandeur?  Der Kommandeur selbst war er nun ein guter Kommandeur oder ein schlechter?  Er hat alles gewagt, fast hätte er alles verloren und hätte mehr verloren, als was man kaufen kann für irgendein Geld auf dieser Welt.

Es sind Geschichten wie diese, Erfahrungen von Menschen auf hoher See, die uns tiefer eintauchen lassen in das, was mit Christus in diese Welt kam : Zurück zu kommen wie einer von den Toten, wie Auferstanden. Es sind Geschichten, die Mut machen und uns nachdenklich machen können, dass wir setzen auf das, was wirklich wichtig ist, dass wir mutig unser Leben wagen, dass wir uns nicht für Kapitän und Kommandeur allein in kleiner Optimistenjolle halten. Sondern immer sind wir berufen, uns zusammenzufinden als eine Mannschaft und eine Gemeinschaft, die ein großes Ziel hat, dass auf diesem kleinen Planeten unsere Wege dorthin führen, wo Frieden gelingt und Gerechtigkeit aus Gottes Wille Teil wird für alle Menschen.

So lasst uns aber wahrhaftig sein und in der Liebe wachsen in allen Stücken hin zu dem, der das Haupt, der Kapitän auf dem Schiff ist, das sich Gemeinde nennt, wo der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft unsere Herzen und Sinne bewahrt in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de

Predigt Pastorin Zingel – Gottesdienst mit dem Sylter Shantychor

Predigttext Matthäus 8, 23-27

Und Jesus stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, so dass auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief. Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um!  Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?

Liebe Gemeinde,

es war wohl im letzten oder vor zwei Jahren, da gab es einen Aufruhr, denn da tauchten hier im Dorf Hochglanzprospekte von der Tourismusbehörde auf. Da wurde erklärt, dass jedes Dorf hier seine Eigenheit hat und jeweils etwas Besonderes ist. Also ihr lieben Gäste kommt doch mal nach Keitum, denn da stand: „Keitum, das Polo- und Fashion-Dorf“.

„Na“, haben die Keitumer da gesagt „also was immer das ist, das wollen wir nicht. Nein, wir gehören zu den Friesendörfern und Keitum ist und bleibt ein Kapitänsdorf“. So kann man es erkunden und darin spazieren gehen. In Reiseführern wird auch das idyllisch beschrieben, „schattige Pfade und versteckte Wege laden zu schönen Spaziergängen durch das Dorf ein, dass einst Alterssitz der Sylter Kapitäne war.“ Die Sylter Kapitäne hatten hier aber nicht nur ihren Alterssitz, sondern sie wurden hier auch geboren und waren kleine Jungs. Man wusste noch gar nicht, was aus ihnen wird. Wer ist begabt, Kapitän zu werden? Wer geht mit auf See? Es waren ja nicht nur Kapitäne, sondern auch Matrosen, eine ganze Mannschaft war hier im Dorf versammelt. Sie sind hier aufgewachsen, hatten Väter, Mütter, Schwestern und Brüder und waren Teil einer Dorfgemeinschaft. Bei einem idyllischen Spaziergang durch das Dorf mit seinen schön herausgeputzten Häuschen und Häusern kann man sich kaum vorstellen, wie schwer und hart damals der Alltag für die Menschen war. Ich finde unsere Konzentration und unser Interesse für die Kapitäne bemerkenswert. Das steht immer drüber über unserem Dorf. Die Kapitänsfrauen, die Kapitänswitwen, die Söhne und Töchter, die Schwestern und Brüder werden weniger erwähnt. Aber das ganze Dorf war ein Seefahrerdorf.

Kapitäne, das sind die Seefahrer. Aber zu der Zeit, über die am meisten immer erzählt wird, die Walfängerzeit, da hieß es gar nicht Kapitän auf dem Schiff, da suchte man einen Kommandeur. Einen, der die Seefahrermannschaft, die Walfänger, zusammenhalten konnte. Beiden, ob nun Kapitän oder Kommandeur war aufgetragen, für das Ziel des Unternehmens genauso zu sorgen, wie für die Mannschaft und das Schiff. Seine Aufgaben waren Aufbruch und Heimkehr, Gefahren umschiffen, wo nötig Kurs halten. Ein Kapitän konnte nur erfolgreich sein, wenn er wusste, wo es hingeht und in der ganzen Zeit verbunden blieb mit denen, die Zuhause blieben, obwohl es damals gar keine Verbindung gab. Ein guter Kapitän, ein weiser Kommandeur, der war sich immer bewusst, dass er Väter und Söhne an Bord hatte, die Zuhause gebraucht wurden. Unterwegs auf hoher See durfte ihn kein jugendlicher Leichtsinn leiten, kein eigener Vorteil und kein bitterer Gram, sondern Umsicht und Fürsorge und Weitsicht. Man kann zurückschauen und fragen, wie es eigentlich kam, dass die Nordfriesen als Seeleute und Walfänger sehr gefragt waren. Auf jeden Fall konnte man hier ein Meister im Navigieren und Segeln werden, weil es wirklich schwer war, seinen Weg im Wattenmeer zu finden. Wer von hier nach Helgoland kam, der konnte wirklich etwas. Dazu kam, dass die Armut auf der Insel groß war. Und es war genau wie heute, je weniger Heuer einer forderte umso eher wurde er genommen und die Friesen verlangten weniger Heuer als die Spanier. Sie erinnern sich, man fuhr damals nicht direkt von der Insel los ins Eismeer, sondern man musste erst von hier nach Rotterdam, nach Amsterdam oder nach Altona, dort konnte man anheuern auf die großen Schiffe und dann fuhr man von dort ins Eismeer. Was für ein Unternehmen. Wer Kommandeur war, der durfte die Mannschaft zusammenstellen und die Friesen hielten nun mal zusammen. Wurde einer Kommandeur und bekam ein ganzes Schiff so nahm er seine Leute aus seinem Dorf von seiner Insel mit. So kam es, dass die Friesen auf niederländischen, auf englischen und auf dänischen Schiffen segelten. Wir schauen ihnen heute hinterher, für uns sind es ferne, aber spannende Geschichten, in denen wir uns offenbar alle immer wiederfinden.

Keitum, das Kapitänsdorf. Kapitän, das vertraute Wort kommt aus dem lateinischen „Caput“, nicht kaputt, sondern Caput der Kopf, das Haupt. Der Kapitän ist der Kopf der Mannschaft, einer, der für alle zusammen denkt, der vorrausschauend das Ziel im Blick behält und sich nicht in Kleinigkeiten verliert. Ob er wach ist oder schläft, er hat das Ganze im Blick. Die Mannschaft die kann unter Deck gehen, die kann abschalten, sich ablenken. Der Kapitän leitet und lenkt das ganze Geschick,  er hat die ganze Mannschaft mit all ihren Gaben und all ihren Schwächen im Blick. Kommandeur ist auch ein sehr schönes Wort. Kommandeur, Kommandos geben, das klingt irgendwie nach zackig und eine Ansage machen, von oben herab Kommandos. Wie schön wenn man da mal wieder hört, was das Wort eigentlich bedeutet: Kommando von comandare, „Ich gebe es dir in die Hände, ich vertraue es dir an.“ Das ist ein Kommandeur, ihm wird Schiff, Ladung und Mannschaft anvertraut und wenn er ein Kommando gibt, der Kommandeur, dann aus diesem Vertrauen, was der Reeder  in ihn setzt. Dieses gibt er weiter an Steuermann, Matrosen und Walfänger. Ich gebe dir mit jedem Kommando ein Stück der Verantwortung voller Vertrauen weiter, so dass das Ganze gelingt. Der Kopf der Mannschaft, der aus einer Fülle von Vertrauen und Verantwortung weiter gibt.

Starke Bilder sind das, ein Kapitän ist niemand von oben herab, sonder einer, der das ganze sieht und alles mit einbezieht. Ein Kommandeur ist niemand, es sei denn, er ist ein schlechter, der Menschen herumkommandiert, sondern einer, der Vertrauen weiter geben kann, damit Menschen da hineinwachsen.  Dabei muss man sich vorstellen, dass auf diesen Schiffen acht-, neun-, zehnjährige Kinder mitfuhren, kleine Schiffsjungen. Die Mütter gaben ihre Kinder voller Vertrauen auf das Schiff mit, sie gaben sie in die Verantwortung von einem Kommandeur hinein, „Pass gut auf sie auf“. Obwohl es in der Bibel keinen „Kapitän“ und keinen „Kommandeur“ gibt, findet man sie wieder in Christus. Christus, das Haupt der Gemeinde, in diesem Fall wäre es der Kapitän. Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt –  Christus, das Haupt der Gemeinde, der Kapitän. Einer, der das Ganze im Blick behält, wie in der Geschichte, die wir gerade gehört haben. Man fährt raus auf den See, alle Jünger sind wach und schauen ängstlich, sie sind keine Seeleute, Jesus schläft. Der Kapitän kann auch schlafen gehen, muss auch schlafen gehen und mit seinen Kräften haushalten. Aber er hat alles im Blick, im Gefühl, auch im Schlaf weiß er, wir sind hier nicht in Gefahr. In Wahrheit hat er mehr als die anderen im Blick, wir sind getragen und gehalten. Hier, durch dieses Unwetter trägt uns Gottes Güte  hindurch. Und er tritt an dieser Stelle auch auf als Kommandeur, einer der ein Kommando gibt, das sich von uns keiner zu trauen wagte: „Sturm, schweige still“ und der Sturm schweigt still, weil Jesus aus tiefem Vertrauen verbunden ist mit Schöpfergüte und Schöpferkraft und Schöpfermacht.

Das sind große Geschichten. Christus, einer der uns begleitet auf hoher Fahrt. Jeden von uns auf seiner Fahrt, auf seinem Lebenspfad. Und dass wir jetzt nicht versuchen uns auf kleinen Optimistenjollen oder kleinen Ruderbooten oder  Schiffen, die für uns viel zu groß sind irgendwie allein zu behaupten. Behaupten ist auch ein Kapitänswort, sich selbst behaupten. Uns diese Last abzunehmen und zu sagen: „Ich helfe dir, ich gehe mit an Bord, lenke und leite und helfe dir auf deinem Lebensweg“. So ist Christus für uns, einer der nicht in Rotterdam und Amsterdam und Altona zurückbleibt, nicht einer, dem das Schiff gehört, das waren die reichen Reeder. Die saßen da und schickten andere auf hohe See und hofften auf großen Gewinn. Ihnen gehörten die Schiffe, ihnen gehörte auch der größte Teil, wenn das Schiff heil zurück kam vom Gewinn.

Was müssen sie wagen? Sie setzten ihr Schiff, aber sie selber blieben sicher Zuhause. Christus ist einer, der mitgeht an Bord, der die Stürme des Lebens kennt und noch weiter, einer der durch den Tod hindurch gegangen ist, und alles im Blick behält.  A und O, Anfang und Ende, ohne etwas zu verdrängen und zu verschweigen von dem Ernst den unser Leben in sich trägt. Dass wir in diese Welt hineinkommen, unser Lebensweg beginnt, dass wir durch Höhen und Tiefen einem Ziel entgegengehen, dass wir einen Hafen haben in Gott, auf jeden Fall nicht in uns selbst. Einer, der uns lenkt und leitet.

Es gibt dazu eine unglaubliche Geschichte von einem Walfänger: Ein Schiff, ein Walfänger, ein Kommandeur hier von Sylt der ging wieder nach Rotterdam im Februar, Ende Februar fährt man los nach Rotterdam heuert an. Und er kam zum Schiffseigner, zum Reeder und hatte ihm zwei schlechte Jahre eingefahren. Der Schiffreeder sagte: „Du, ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr wieder auf dich setzen soll. Es gibt andere Bewerber.“ Und wie in der Bibelgeschichte, wo der Baum nicht abgehauen wird, sondern ‚ein Jahr geb ich dir noch‘, so sagte der Reeder „gut, einmal noch mach ich dich zum Kommandeur. Such dir eine Mannschaft zusammen und fahr los und bring aber in diesem Jahr wirklich etwas zurück.“  Der Kommandeur stellte seine Mannschaft zusammen und sie gingen aufs Schiff. An ihnen fuhren viele Schiffe vorbei und die machten alle reiche Beute, aber sie fingen nichts. Sie waren nie da, wo gerade der Wal zu finden war und als die anderen schon umkehrten,  sagte der Kommandeur: „Ich setzte alles auf eine Karte, wir fahren weiter, wir bleiben noch hier. Und sie fuhren noch 50, noch 100 Kilometer weiter nach Norden. Und sie fingen den Fang ihres Lebens. Ein Wal, zwei Wale, drei Wale und dann wollten sie zurück, aber es war zu spät, hinter ihnen fror das Eismeer zu. Der Wal, der Fang ihres Lebens, das Schiff gefüllt, aber das Packeis zieht dicht. Sie waren zu weit und zu lange nach Norden gesegelt und damit waren sie eigentlich alle zum Tode verurteilt, denn nur von Tran kann ein Mensch, eine ganze Mannschaft nicht überleben. Tage und Wochen vergingen. In Rotterdam, in Amsterdam kamen die Schiffe zurück und dieses Schiff wurde verloren gegeben. Die Familien ereilte schon die Nachricht, ihnen wurde gesagt, stellt euch darauf ein, eure Männer sind verloren gegangen. Und dann gab es, wie durch ein Wunder im November einen Einbruch von Südwind hinein ins Eismeer, für ein paar Tage nur und es öffnete sich genau dort, wo das Schiff eingefroren war, festgehalten wurde für einige, wenige Tage.  Eigentlich waren es nur Stunden, in den es eine Durchfahrt gab und der Kommandeur befahl die Segel zu setzen und sie fanden den Weg wieder zurück. Nach Wochen segelten sie ein in den Hafen von Rotterdam und wurden begrüßt wie welche, die auferstanden sind von den Toten. Der Schiffeigner war überglücklich, sein Schiff war nicht verloren. Ob er sich gefragt hat, welchen Anteil er daran hat, welchen Druck er mit seiner Gier weitergegeben hat an den Kommandeur?  Der Kommandeur selbst war er nun ein guter Kommandeur oder ein schlechter?  Er hat alles gewagt, fast hätte er alles verloren und hätte mehr verloren, als was man kaufen kann für irgendein Geld auf dieser Welt.

Es sind Geschichten wie diese, Erfahrungen von Menschen auf hoher See, die uns tiefer eintauchen lassen in das, was mit Christus in diese Welt kam : Zurück zu kommen wie einer von den Toten, wie Auferstanden. Es sind Geschichten, die Mut machen und uns nachdenklich machen können, dass wir setzen auf das, was wirklich wichtig ist, dass wir mutig unser Leben wagen, dass wir uns nicht für Kapitän und Kommandeur allein in kleiner Optimistenjolle halten. Sondern immer sind wir berufen, uns zusammenzufinden als eine Mannschaft und eine Gemeinschaft, die ein großes Ziel hat, dass auf diesem kleinen Planeten unsere Wege dorthin führen, wo Frieden gelingt und Gerechtigkeit aus Gottes Wille Teil wird für alle Menschen.

So lasst uns aber wahrhaftig sein und in der Liebe wachsen in allen Stücken hin zu dem, der das Haupt, der Kapitän auf dem Schiff ist, das sich Gemeinde nennt, wo der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft unsere Herzen und Sinne bewahrt in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de