Predigttext: Matthäus 18, 21 – 35
Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, a weil du mich gebeten hast; hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde,
heute vor zehn Tagen in der Nacht starb die sechsjährige Norma Jane, zusammen mit ihren Eltern. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ging das Haus, in dem die kleine Familie lebte, in Flammen auf. Die Feuerwehr ermittelte, dass das Feuer selbst gelegt worden war, und dass alle noch lebten, als es ausbrach. Am Tag zuvor war dieses kleine Eigenheim zwangsversteigert worden. Es ging um Schulden in Höhe von 40.000 Euro. Kurz bevor das Feuer um zwei Uhr nachts ausbrach, stellte die Mutter noch einen langen Abschiedsbrief ins Internet. Er endete mit dem Satz „Da wir so viel neben Eigenleistung auch Liebe in dieses Haus gesteckt haben, wissen wir keine Lösung mehr.“ Eine Kleinfamilie scheidet aus dem Leben, weil sie durch Schulden kein Ausweg mehr sieht. Erdrückt. Die kleine Norma Jane wurde dabei nicht gefragt. Niemand wird wissen, ob es die Eltern gemeinsam, der Vater oder die Mutter allein entschieden haben. Eine Entscheidung, die in dieser Welt nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Durch die Staatsverschuldung der Bundesrepublik ist jeder Erwerbstätige in diesem Land mit 51.051 Euro verschuldet. Ganz unabhängig von unserem Einkommen und unserem Vermögen. Wir alle miteinander, die Bunderepublik Deutschland, ist mit mehr als zwei Billionen Euro verschuldet. Sie haben es bestimmt auch verfolgt, in dieser Woche wurde die Schuldengrenze in den USA auf über 17 Billionen Dollar hinaufgesetzt. Das sind mehr als zwölf Billionen Euro und 12.000 Milliarden. Es ist, glaube ich, für uns alle unvorstellbar, was da eigentlich für eine Größe dahinter steht. Wir haben gehört – einige aus unserer Gemeinde waren auch in den Herbstferien dort – für 16 Tage war das öffentlich verwaltete Leben in den USA lahmgelegt – Schuldenkrise. Sie kostete an dieser Stelle 24 Milliarden Dollar. In den USA ist ausgerechnet worden, alle neun Sekunden trifft eine Familie das gleiche Schicksal wie Norma Janes. Ein Schuldner, eine Zwangsversteigerung, weil die Kreditraten nicht mehr bezahlt werden können. Und wie fast immer geht es um ganz normale Menschen, wie du und ich, die ein geregeltes Leben führen, die eine Arbeit haben, ein Einkommen. Sie haben Ausgaben, Einnahmen und Gewinn überschlagen, sie haben sich beraten lassen und haben sich ein Haus gekauft und alles verloren, weil Wert, Gewinn, Kredit nicht mehr zusammen passen. Und: Weil sie Teil von einem größeren Ganzen sind. Weil sie Teil einer Gesellschaft sind, die insgesamt über ihre Verhältnisse hinaus lebt. Das sind Zusammenhänge, wo man ganz nah zu spüren bekommt, dass Schulden und aneinander schuldig werden, fast immer ganz eng miteinander verwoben sind.
Jesus erzählt ein Gleichnis, aber es ist so nah am Leben erzählt, dass man nicht sagen kann: Das eine gleicht dem anderen, sondern es ist genauso wie . . . . Es ist genau so und genau so soll es unter euch nicht sein. Jeder einzelne trägt eine Last, die größer ist als sein eigenes Tun, Vermögen und Schulden. Wir sind alle miteinander verwoben. Und werden und bleiben uns etwas schuldig und werden stürzen einige, viele . . . ? in Verzweiflung, Verschuldung und Schrecken. Es ist ein kollektiver Prozess, in dem doch jeder einzelne mitspielt und viel zu viele viel zu teuer bezahlen. Es ist kein Spiel, es ist bitterer Ernst. Wer im Kleinen oder im Großen über seine Verhältnisse lebt, der verschließt die Augen davor, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Das, was einmal möglich war, jetzt nicht mehr bezahlbar ist. Aber die Prozesse sind so groß, umgreifen die ganze Welt, alles ist miteinander verwoben. Alle wissen, es hat sich etwas verändert und so geht es nicht weiter, aber: Was hat sich eigentlich verändert? Und welche Vorzeichen sind anders geworden?
Zu allen Zeiten sind Menschen hinter ihrer eigenen Zeit nicht hinterher gekommen, sich verändernden Bedingungen. Haben selbst vergessen, einfach weitergemacht, wie sie es schon lange getan haben, völlig verloren darin das Maß und konnten sich nicht über ihre Zeit hinaus etwas vorstellen. Wir wissen alle, dass das, was wir Generationen nach uns hinterlassen – unseren Kindern und Kindeskindern – dass das ein teures Erbe werden wird. Und ich bin ganz sicher, Jesus würde mit uns heute darüber reden. Er würde in dem, was sich da auftut, neue Gleichnisse erzählen und gleichzeitig das, was er damals erzählt hat, trifft heute noch ganz genauso. Wir hören es in den Nachrichten, es löst ein Gefühl von Ohnmacht aus und es ist auch nicht die Stelle, an der wir direkt eingreifen können. Für die meisten von uns geht es erst einmal nicht darum einzugreifen, Finanzflüsse zu steuern, die Steuern zu senken oder zu erhöhen. Wir können nicht die Schuldenbremse treten und sind nicht die ersten, die den Zinssatz ändern. Uns wird erzählt, dass die Gemeinschaft, die Verwobenheit aller untereinander, das die für uns wichtig ist. Ehrlichkeit, der Mut, die Wahrheit zu erkennen, Realitäten nicht zu vernebeln, die Augen nicht zu verschließen, Schuld nicht wegzureden, Schulden nicht zu tabuisieren und zu verschweigen und vor allem Güte und Erbarmen, Vergebung und Erlass miteinander so ins Spiel zu bringen, dass sie Kraft gewinnen können. Denn wir alle miteinander, jeder einzelne, und alle zusammen auf ihrem Weg sind darauf angewiesen.
Es war ein Mensch, der war 10.000 Zentner Silber schuldig. Da geht es, verglichen zu unserer Zeit heute um Millionen oder Milliarden. 10.000 Zentner Silber. Und er konnte nicht zahlen und wir hören wie brutal es damals zuging. Dann wird deine Familie verkauft, auf dem Sklavenmarkt. Du selbst, deine Frau und deine Kinder. Jeder einzeln verkauft, kommt irgendwo hin, ihr werdet euch nie wieder sehen und der Besitz wird auch verkauft. Und er fällt auf die Knie und bittet um Erbarmen und bekommt es geschenkt. Die Schulden erlassen, Vergebung erfahren. Und darf weitermachen. Neues Leben geschenkt, nicht nur für ihn, sondern für seine ganze Familie. Nun steht er auf und da kommt der andere, der schuldet ihm 100 Silbergroschen. 100 Silbergroschen sind umgerechnet so viel wie wir, die wir hier sitzen, im Durchschnitt so im Portemonnaie dabei haben. Nicht viel, aber auch nicht ganz wenig, 100 Silbergroschen. Und ohne sich zu erinnern oder vielleicht gerade weil er diese Härte erlebt hat, ist er jetzt ohne Erbarmen. Sein Schuldner wird ins Gefängnis geworfen – brutal, ohne Erbarmen. 100 Groschen und 10.000 Zentner.
Jesus erzählt dieses Gleichnis, um Gottes Güte ohne Grenzen ins Spiel zu bringen, was immer es ist, wie groß Schuld und Schulden. Gottes Erbarmen ist ohne Ende. Seine Bereitschaft und sein Vertrauen in uns, dass wir klug werden. Klug, wirklich klug im Umgang mit materiellen Ressourcen, die Gott der Schöpfer uns in unsere Hände legt. Dass wir aber mehr noch seelenklug und herzensweise werden. Dass wir wissen, dass Schulden und schuldig werden und Zerstörung von Beziehungen und Bezogenheiten untereinander zusammenhängt. Auf dass wir seelenklug werden und herzensweise. Dass wir weiter miteinander verbunden bleiben als Menschen, die Wahrheiten aussprechen können, aushalten können, bereit werden zu vergeben.
Es gibt etwas, das kannst du dir für kein Geld dieser Welt kaufen – dein Leben. Dass du da bist, dass du atmest, das Leben deiner Kinder, dass sie da sind, dass sie atmen und dass sie glücklich werden. Dass sie hineingehen in eine lebenswerte, menschenfreundliche Zukunft, in der man das, was man im Herzen für gut befindet, vermittelt, lebt, geschenkt bekommen hat. Dass man es auch leben kann. Dass deine Kinder es leben können, wenn du einmal nicht mehr bist, sie zu behüten und zu beschützen. Wenn sie ihre eigenen Wege gehen. Mit keinem Geld dieser Welt ist das möglich, du kannst deinem Leben nicht eine Elle hinzufügen. Lebenszeit ist dir geschenkt, gestundet. Für nichts, was wirklich, wirklich lebendig ist, gibt es eine Garantie. Du bist berufen, dich zu erinnern, was dein größter Schatz ist. Dein Herz, deine Seele und dass du einen Ursprung hast, eine Mitte ein Ziel, dass du aus dem Herzen Gottes hineinkommst in diese Welt. Und dass er dich trägt in seinem Herzen alle Zeit und dass er da sein wird am Ende aller Zeiten. Wer sich darin wiederfindet, seelenklug und herzensweise dem wird aufgehen, dass unser Leben immer verwoben ist mit dem Glück der anderen.
Je tiefer gegründet in der Gnade Gottes, umso mehr wird dir aufgehen, dass alles voneinander abhängig ist und nichts und niemand sich herauslösen lässt aus dem Ganzen. In einer ungerechten Welt kannst du vielleicht gut wegkommen. Wenn du klug bist oder diszipliniert bist oder genügsam bist oder Freunde hast oder einfach nur Glück gehabt hast. Aber du kannst niemals wirklich glücklich werden, das ganze Glück zu dem wir Menschen fähig sind. Das darin liegt, dass wir es mit anderen teilen, dass wir sagen „Ja, so soll es sein. So soll es sein für alle Menschen.“
40.000 Euro haben Nora Janes Eltern so verzweifeln lassen, dass sie sich keine Zukunft mehr für sich selbst und für ihr Kind vorstellen konnten. In den Armutsvierteln, in den Slums dieser Welt, zählt ein Menschenleben noch viel weniger. Wir reden jetzt nicht die ganze Zeit über Geld oder Schulden, wir reden darüber, dass Schulden, Schuld und Vergebung miteinander verbunden sind.
Wenn eine Liebe scheitert, wie oft ist dann Materielles mit im Spiel, wie schwer ist es wieder zu ordnen. Verletzt zu werden, weil einer materielle Werte über alles stellt. Jesus erzählt ein Gleichnis. Wer Materielles über alles stellt, der wird eine Kaskade von Not und Unglück und Schmerz auslösen. Und das Beziehungsgeflecht, ob du es von innen betrachtest oder von außen, es ist ein Ganzes. Dein kleines Haus zu beschützen ist immer verwoben mit dem großen Ganzen – diese Welt, ein Haus für alle Menschen.
Norma Jane wurde sechs Jahre alt. Ich habe überlegt, ob ihre Eltern, als sie ihr den Namen gegeben haben, an Marilyn Monroe gedacht haben, die ja Norma Jeane hieß. Good bye, Norma Jeane. Das Lied, das Elton John ihr gewidmet hat. „And it seems to me you lived your life like a candle in the wind – Und es scheint mir, dass du dein Leben gelebt hast, wie eine Kerze im Wind“. Dein Licht ist verloschen, aber deine Geschichte wird niemals enden. Und wir erinnern uns auch, dass Elton John das Lied gesungen hat für, damals bei der Beerdigung von Princess Diana. „Rose of England“ hatte er es umgedichtet. Und wir erinnern auch, was dahinter für eine Geschichte von Liebe, Verrat und auch schuldig werden steckt. Und dass die Menschen in der Kirche, die ganzen Würdenträger, wie betroffen sie dasaßen und wie die Menschen auf der Straße sich in den Arm nahmen.
Schuldig werden, die Liebe nicht leben können. Menschen weinen, weil darin eine Quelle von Wahrheit liegt, die Erkenntnis, dass wir alle leben aus Vergebung. Vorne am Altar leuchten die Kerzen und wenn wir hier ein Kind taufen, entzünden wir dort eine Taufkerze. Wir sagen: „Dein Lebenslicht leuchtet durch das Licht Christi. Du wirst nicht verlöschen, du wirst leben und leuchten und strahlen in alle Ewigkeit“. Und wenn du hinausgehst bei diesem Wind und vor die Tür trittst, wird dieses Licht verlöschen. Weil „You lived your life like a candle in the wind“ –
Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. Es gibt eine Macht der Verletzlichkeit. Wir können eine Kerze nicht durch den Wind tragen, aber wir können unser Leben in das Licht Gottes hineinstellen, das schattenlos ist – und ewig. Das aufging vor aller Zeit. Nichts Materielles war da, als Gott sprach: „Es werde Licht“ und es ward Licht. Und wo immer wir selbst sehen können unser Leben in diesem Licht, werden wir Menschen, die frei werden, bereit werden zu verschenken, Schulden zu erlassen, Schuld zu vergeben, sieben 70 mal und noch viel mehr, weil der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft unsere Herzen und Sinne behütet und bewahrt mit allem, was wir sind in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de
Predigttext: Matthäus 18, 21 – 35
Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. Da er’s nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir’s bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, a weil du mich gebeten hast; hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde,
heute vor zehn Tagen in der Nacht starb die sechsjährige Norma Jane, zusammen mit ihren Eltern. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ging das Haus, in dem die kleine Familie lebte, in Flammen auf. Die Feuerwehr ermittelte, dass das Feuer selbst gelegt worden war, und dass alle noch lebten, als es ausbrach. Am Tag zuvor war dieses kleine Eigenheim zwangsversteigert worden. Es ging um Schulden in Höhe von 40.000 Euro. Kurz bevor das Feuer um zwei Uhr nachts ausbrach, stellte die Mutter noch einen langen Abschiedsbrief ins Internet. Er endete mit dem Satz „Da wir so viel neben Eigenleistung auch Liebe in dieses Haus gesteckt haben, wissen wir keine Lösung mehr.“ Eine Kleinfamilie scheidet aus dem Leben, weil sie durch Schulden kein Ausweg mehr sieht. Erdrückt. Die kleine Norma Jane wurde dabei nicht gefragt. Niemand wird wissen, ob es die Eltern gemeinsam, der Vater oder die Mutter allein entschieden haben. Eine Entscheidung, die in dieser Welt nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Durch die Staatsverschuldung der Bundesrepublik ist jeder Erwerbstätige in diesem Land mit 51.051 Euro verschuldet. Ganz unabhängig von unserem Einkommen und unserem Vermögen. Wir alle miteinander, die Bunderepublik Deutschland, ist mit mehr als zwei Billionen Euro verschuldet. Sie haben es bestimmt auch verfolgt, in dieser Woche wurde die Schuldengrenze in den USA auf über 17 Billionen Dollar hinaufgesetzt. Das sind mehr als zwölf Billionen Euro und 12.000 Milliarden. Es ist, glaube ich, für uns alle unvorstellbar, was da eigentlich für eine Größe dahinter steht. Wir haben gehört – einige aus unserer Gemeinde waren auch in den Herbstferien dort – für 16 Tage war das öffentlich verwaltete Leben in den USA lahmgelegt – Schuldenkrise. Sie kostete an dieser Stelle 24 Milliarden Dollar. In den USA ist ausgerechnet worden, alle neun Sekunden trifft eine Familie das gleiche Schicksal wie Norma Janes. Ein Schuldner, eine Zwangsversteigerung, weil die Kreditraten nicht mehr bezahlt werden können. Und wie fast immer geht es um ganz normale Menschen, wie du und ich, die ein geregeltes Leben führen, die eine Arbeit haben, ein Einkommen. Sie haben Ausgaben, Einnahmen und Gewinn überschlagen, sie haben sich beraten lassen und haben sich ein Haus gekauft und alles verloren, weil Wert, Gewinn, Kredit nicht mehr zusammen passen. Und: Weil sie Teil von einem größeren Ganzen sind. Weil sie Teil einer Gesellschaft sind, die insgesamt über ihre Verhältnisse hinaus lebt. Das sind Zusammenhänge, wo man ganz nah zu spüren bekommt, dass Schulden und aneinander schuldig werden, fast immer ganz eng miteinander verwoben sind.
Jesus erzählt ein Gleichnis, aber es ist so nah am Leben erzählt, dass man nicht sagen kann: Das eine gleicht dem anderen, sondern es ist genauso wie . . . . Es ist genau so und genau so soll es unter euch nicht sein. Jeder einzelne trägt eine Last, die größer ist als sein eigenes Tun, Vermögen und Schulden. Wir sind alle miteinander verwoben. Und werden und bleiben uns etwas schuldig und werden stürzen einige, viele . . . ? in Verzweiflung, Verschuldung und Schrecken. Es ist ein kollektiver Prozess, in dem doch jeder einzelne mitspielt und viel zu viele viel zu teuer bezahlen. Es ist kein Spiel, es ist bitterer Ernst. Wer im Kleinen oder im Großen über seine Verhältnisse lebt, der verschließt die Augen davor, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Das, was einmal möglich war, jetzt nicht mehr bezahlbar ist. Aber die Prozesse sind so groß, umgreifen die ganze Welt, alles ist miteinander verwoben. Alle wissen, es hat sich etwas verändert und so geht es nicht weiter, aber: Was hat sich eigentlich verändert? Und welche Vorzeichen sind anders geworden?
Zu allen Zeiten sind Menschen hinter ihrer eigenen Zeit nicht hinterher gekommen, sich verändernden Bedingungen. Haben selbst vergessen, einfach weitergemacht, wie sie es schon lange getan haben, völlig verloren darin das Maß und konnten sich nicht über ihre Zeit hinaus etwas vorstellen. Wir wissen alle, dass das, was wir Generationen nach uns hinterlassen – unseren Kindern und Kindeskindern – dass das ein teures Erbe werden wird. Und ich bin ganz sicher, Jesus würde mit uns heute darüber reden. Er würde in dem, was sich da auftut, neue Gleichnisse erzählen und gleichzeitig das, was er damals erzählt hat, trifft heute noch ganz genauso. Wir hören es in den Nachrichten, es löst ein Gefühl von Ohnmacht aus und es ist auch nicht die Stelle, an der wir direkt eingreifen können. Für die meisten von uns geht es erst einmal nicht darum einzugreifen, Finanzflüsse zu steuern, die Steuern zu senken oder zu erhöhen. Wir können nicht die Schuldenbremse treten und sind nicht die ersten, die den Zinssatz ändern. Uns wird erzählt, dass die Gemeinschaft, die Verwobenheit aller untereinander, das die für uns wichtig ist. Ehrlichkeit, der Mut, die Wahrheit zu erkennen, Realitäten nicht zu vernebeln, die Augen nicht zu verschließen, Schuld nicht wegzureden, Schulden nicht zu tabuisieren und zu verschweigen und vor allem Güte und Erbarmen, Vergebung und Erlass miteinander so ins Spiel zu bringen, dass sie Kraft gewinnen können. Denn wir alle miteinander, jeder einzelne, und alle zusammen auf ihrem Weg sind darauf angewiesen.
Es war ein Mensch, der war 10.000 Zentner Silber schuldig. Da geht es, verglichen zu unserer Zeit heute um Millionen oder Milliarden. 10.000 Zentner Silber. Und er konnte nicht zahlen und wir hören wie brutal es damals zuging. Dann wird deine Familie verkauft, auf dem Sklavenmarkt. Du selbst, deine Frau und deine Kinder. Jeder einzeln verkauft, kommt irgendwo hin, ihr werdet euch nie wieder sehen und der Besitz wird auch verkauft. Und er fällt auf die Knie und bittet um Erbarmen und bekommt es geschenkt. Die Schulden erlassen, Vergebung erfahren. Und darf weitermachen. Neues Leben geschenkt, nicht nur für ihn, sondern für seine ganze Familie. Nun steht er auf und da kommt der andere, der schuldet ihm 100 Silbergroschen. 100 Silbergroschen sind umgerechnet so viel wie wir, die wir hier sitzen, im Durchschnitt so im Portemonnaie dabei haben. Nicht viel, aber auch nicht ganz wenig, 100 Silbergroschen. Und ohne sich zu erinnern oder vielleicht gerade weil er diese Härte erlebt hat, ist er jetzt ohne Erbarmen. Sein Schuldner wird ins Gefängnis geworfen – brutal, ohne Erbarmen. 100 Groschen und 10.000 Zentner.
Jesus erzählt dieses Gleichnis, um Gottes Güte ohne Grenzen ins Spiel zu bringen, was immer es ist, wie groß Schuld und Schulden. Gottes Erbarmen ist ohne Ende. Seine Bereitschaft und sein Vertrauen in uns, dass wir klug werden. Klug, wirklich klug im Umgang mit materiellen Ressourcen, die Gott der Schöpfer uns in unsere Hände legt. Dass wir aber mehr noch seelenklug und herzensweise werden. Dass wir wissen, dass Schulden und schuldig werden und Zerstörung von Beziehungen und Bezogenheiten untereinander zusammenhängt. Auf dass wir seelenklug werden und herzensweise. Dass wir weiter miteinander verbunden bleiben als Menschen, die Wahrheiten aussprechen können, aushalten können, bereit werden zu vergeben.
Es gibt etwas, das kannst du dir für kein Geld dieser Welt kaufen – dein Leben. Dass du da bist, dass du atmest, das Leben deiner Kinder, dass sie da sind, dass sie atmen und dass sie glücklich werden. Dass sie hineingehen in eine lebenswerte, menschenfreundliche Zukunft, in der man das, was man im Herzen für gut befindet, vermittelt, lebt, geschenkt bekommen hat. Dass man es auch leben kann. Dass deine Kinder es leben können, wenn du einmal nicht mehr bist, sie zu behüten und zu beschützen. Wenn sie ihre eigenen Wege gehen. Mit keinem Geld dieser Welt ist das möglich, du kannst deinem Leben nicht eine Elle hinzufügen. Lebenszeit ist dir geschenkt, gestundet. Für nichts, was wirklich, wirklich lebendig ist, gibt es eine Garantie. Du bist berufen, dich zu erinnern, was dein größter Schatz ist. Dein Herz, deine Seele und dass du einen Ursprung hast, eine Mitte ein Ziel, dass du aus dem Herzen Gottes hineinkommst in diese Welt. Und dass er dich trägt in seinem Herzen alle Zeit und dass er da sein wird am Ende aller Zeiten. Wer sich darin wiederfindet, seelenklug und herzensweise dem wird aufgehen, dass unser Leben immer verwoben ist mit dem Glück der anderen.
Je tiefer gegründet in der Gnade Gottes, umso mehr wird dir aufgehen, dass alles voneinander abhängig ist und nichts und niemand sich herauslösen lässt aus dem Ganzen. In einer ungerechten Welt kannst du vielleicht gut wegkommen. Wenn du klug bist oder diszipliniert bist oder genügsam bist oder Freunde hast oder einfach nur Glück gehabt hast. Aber du kannst niemals wirklich glücklich werden, das ganze Glück zu dem wir Menschen fähig sind. Das darin liegt, dass wir es mit anderen teilen, dass wir sagen „Ja, so soll es sein. So soll es sein für alle Menschen.“
40.000 Euro haben Nora Janes Eltern so verzweifeln lassen, dass sie sich keine Zukunft mehr für sich selbst und für ihr Kind vorstellen konnten. In den Armutsvierteln, in den Slums dieser Welt, zählt ein Menschenleben noch viel weniger. Wir reden jetzt nicht die ganze Zeit über Geld oder Schulden, wir reden darüber, dass Schulden, Schuld und Vergebung miteinander verbunden sind.
Wenn eine Liebe scheitert, wie oft ist dann Materielles mit im Spiel, wie schwer ist es wieder zu ordnen. Verletzt zu werden, weil einer materielle Werte über alles stellt. Jesus erzählt ein Gleichnis. Wer Materielles über alles stellt, der wird eine Kaskade von Not und Unglück und Schmerz auslösen. Und das Beziehungsgeflecht, ob du es von innen betrachtest oder von außen, es ist ein Ganzes. Dein kleines Haus zu beschützen ist immer verwoben mit dem großen Ganzen – diese Welt, ein Haus für alle Menschen.
Norma Jane wurde sechs Jahre alt. Ich habe überlegt, ob ihre Eltern, als sie ihr den Namen gegeben haben, an Marilyn Monroe gedacht haben, die ja Norma Jeane hieß. Good bye, Norma Jeane. Das Lied, das Elton John ihr gewidmet hat. „And it seems to me you lived your life like a candle in the wind – Und es scheint mir, dass du dein Leben gelebt hast, wie eine Kerze im Wind“. Dein Licht ist verloschen, aber deine Geschichte wird niemals enden. Und wir erinnern uns auch, dass Elton John das Lied gesungen hat für, damals bei der Beerdigung von Princess Diana. „Rose of England“ hatte er es umgedichtet. Und wir erinnern auch, was dahinter für eine Geschichte von Liebe, Verrat und auch schuldig werden steckt. Und dass die Menschen in der Kirche, die ganzen Würdenträger, wie betroffen sie dasaßen und wie die Menschen auf der Straße sich in den Arm nahmen.
Schuldig werden, die Liebe nicht leben können. Menschen weinen, weil darin eine Quelle von Wahrheit liegt, die Erkenntnis, dass wir alle leben aus Vergebung. Vorne am Altar leuchten die Kerzen und wenn wir hier ein Kind taufen, entzünden wir dort eine Taufkerze. Wir sagen: „Dein Lebenslicht leuchtet durch das Licht Christi. Du wirst nicht verlöschen, du wirst leben und leuchten und strahlen in alle Ewigkeit“. Und wenn du hinausgehst bei diesem Wind und vor die Tür trittst, wird dieses Licht verlöschen. Weil „You lived your life like a candle in the wind“ –
Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. Es gibt eine Macht der Verletzlichkeit. Wir können eine Kerze nicht durch den Wind tragen, aber wir können unser Leben in das Licht Gottes hineinstellen, das schattenlos ist – und ewig. Das aufging vor aller Zeit. Nichts Materielles war da, als Gott sprach: „Es werde Licht“ und es ward Licht. Und wo immer wir selbst sehen können unser Leben in diesem Licht, werden wir Menschen, die frei werden, bereit werden zu verschenken, Schulden zu erlassen, Schuld zu vergeben, sieben 70 mal und noch viel mehr, weil der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft unsere Herzen und Sinne behütet und bewahrt mit allem, was wir sind in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de