Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde,
es sind in der großen Pfingstgeschichte zwei kleine Worte. Wie ein Geländer können die uns hineinführen in die Pfingstwunder oder sie spannen sich vor uns auf wie eine Brücke, die uns hineinhilft. Zwei kleine Wörter und das sind: „alle“ und „jeder“.
Alle – Alle waren erfüllt vom Heiligen Geist. Alle fingen an zu sprechen. Über alle kam das Feuer und die Leidenschaft und jeder konnte es verstehen. Jeder hörte in genau seiner Sprache, jeder wurde genau dort getroffen, wo das Herz sich öffnet. Alle kamen zusammen und jeder spürte: Hier geschieht etwas Unglaubliches.
Einen Bruch gibt es in der Geschichte natürlich auch, sonst wäre sie ja nicht spannend. Ein paar regten sich auf. Ein paar meinten hämisch: „Die sind ja alle betrunken.“ Da sind sie wieder: alle. Aber auch sie hatten mitbekommen, dass hier etwas ganz Unglaubliches geschieht. Etwas, was alle verbindet und jeden angeht.
So deutet Petrus dann auch dieses Wunder: „Ihr wisst es doch, der Prophet Joel hat es euch gesagt, denn so spricht Gott. Ich will ausgießen meinen Heiligen Geist auf alles Fleisch und die Jungen werden anfangen und reden und die Alten werden Träume haben. Und sie werden alle weißsagen und künden von meiner Wahrheit.“
Eine Verheißung voller Sehnsucht nach Ganzsein, Heilsein und nicht jeder für sich allein, sondern alle miteinander und doch jeder ganz genau.
Es ist die Verheißung vom allerersten Morgen. Aller-ersten Morgen – alle Tage umgriffen in dem Licht des allerersten Morgens als die Schöpfung begann – Der Heilige Geist, der alles, was atmet und lebt ins Leben gerufen hat, belebt auch dich und beruft dich neu ins Leben hinein. Dass die göttliche Wahrheit ganz einfach ist, dass Seligkeit und Frieden und Gerechtigkeit niemals abnehmen, wenn du sie mit anderen teilst, sondern, dass sie mehr werden.
Ganzsein, kollektives Heilsein – davon gibt es die wunderbaren Geschichten, dass es mal war, ganz am Anfang, paradiesisch. Verloren ist es: Sündenfall, Turmbau, Sintflut. Vorbei die Zeit, wo alle Welt einerlei Zunge und alles Volk nur eine Sprache hatte, aber die Sehnsucht danach ist geblieben. Letztlich ist es die eine Verheißung, du bist das Ebenbild Gottes. Einmalig, wunderbar und heilig. Weil du es bist und alle anderen auch, seid ihr alle miteinander eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. Alle miteinander, weil es jeder für sich ist.
Dies hat die Menschen in Jerusalem erreicht, deshalb waren sie so berührt, Etwas, was größer und wunderbarer war als alles, was ein Mensch sich erdenken kann, hatte sie ganz und gar umgriffen. Darum war das, was da geschah auch keine Massenbewegung, keine Demagogie, wo einer eine große Rede schwingt und alle klatschen und sind begeistert. Am Pfingsttag in Jerusalem wird jeder ganz fein und genau getroffen. Alle unterschiedlich und doch alle miteinander verbunden. So beschirmt durch den Heiligen Geist können sie an diesem einen Tag alles Befremden, alle destruktiven Energien, alle Häme, allen Spott einfach abwehren. Das alles hat überhaupt gar keine Kraft, denn wo der Heilige Geist wirkt, ist es ganz zart, fein und genau und kraftvoll gewaltig. .
Unheimlich ist dieser Heilige Geist auch und darum in unserer protestantischen Tradition nicht das, das konsequent in den Mittelpunk gestellt wurde. Sie ist unheimlich. Denn einer stelle sich vor, es fängt etwas an und es spricht etwas aus dir heraus und du bist nicht mehr Herr deiner Selbst. Du fängst an und sagst wirklich die Wahrheit. Wenn es nur das ist, was du dir über alles so denkst, dann ist das schon in mancher Situation ganz schön gefährlich. Aber nun denke dir, du sprichst die Wahrheit Gottes aus, egal wo du bist, egal, ob die anderen sie hören wollen. Der Heilige Geist ist kraftvoll, unberechenbar und gefährlich.
Dazu kommt: Wir leben in Zeiten der Individualität. Das wird ganz hoch veranschlagt. Ein großer Wert: du selbst. Sei du selbst. Das ist der eine Pol, du bist das Ebenbild Gottes ist die theologische Grundlegung davon, du bist einmalig und wunderbar. Du bist begabt und hast so viel Potentiale in dir, mehr als du leben kannst. Und da ruft es von allen Seiten: Also sei du selbst, entfalte das, was in dir angelegt ist. Und – meist bleibt man dann auch damit allein – dass allzu viel dabei auf der Strecke bleibt. Denn wie soll einer allein alles umsetzen, was in ihm ist? Da kommt ein Wort zusammen: Allein. Alles in einem macht einsam und allein. Nur gemeinsam können wir die Fülle, die in jedem Menschen angelegt ist, wirklich entfalten, aussprechen und zum Klingen und zum Schwingen bringen. Alleine würde sie verkümmern. Gemeinsam werden wir uns zu Impulsgebern von Anregungen, Erinnerungshilfen.
Impulsgeber werden, Puls und Herzschlag von Glauben und von Hoffnung. Dann kann‘s eine lebendige Gemeinde werden und unser Leben ganz. Pfingsten kann eigentlich niemand für sich allein feiern, denn es ist eine große gemeinschaftliche Erfahrung, die uns über uns selbst hinaus hilft. Jetzt sind wir ja alle hier versammelt: singen, beten, hören das Evangelium und können uns Geschichten erzählen. Pfingsten werden Geschichten erzählt. Pfingsten ist eine einzig große Geschichte.
Da will ich anknüpfen und Ihnen erzählen, was wir erlebt haben. Denn vor zwei Wochen sind wir losgefahren und vor einer Woche sind wir wieder gekommen. Es waren 13 Erwachsene und sieben Konfirmanden. Wir haben uns zusammen auf eine weite Reise gemacht, 15 Stunden fährt man, bis man ankommt in Polen, ehemals Schlesien im Riesengebirge. Dorthin sind wir gereist, Stolpersteine haben uns auf den Weg gebracht hat. Stolpersteine, die in unserem Dorf verlegt wurden, für Opfer des Faschismus, die auf unserem Friedhof begraben wurden. Zwei Keitumer wurden im Konzentrationslager Groß Rosen ermordet, in Schlesien. Ich muss gestehen, ich habe den Namen erst gelernt, als ich hierher kam. Groß Rosen wird auch genannt die steinerne Hölle oder das vergessene Lager. Wäre es nicht so, dass Wilhelm Ernst Witteborg und Ludwig Borstelmann – der Vater von unserem ehemaligen Organisten Willi Borstelmann – wäre es nicht so, dass sie dorthin verschleppt worden wären und dort umgekommen wären, wir hätten uns wohl kaum auf den Weg gemacht.. Aber so ging es los: Zeitzeugen und Kinder, Alte und Junge. Und sie haben noch im Ohr die Verheißung vom Joel: „Eure Jungen werden anfangen zu reden und eure Alten werden Träume haben.“ Ein Älterer sagte, als er die Jugendlichen das erste Mal sah: „Ich dachte, wir fahren mit Konfirmanden, aber das sind ja Kinder.“ Und dann kam ein längerer Weg: „Ja, so alt warst du, als du konfirmiert wurdest.“ „Ich selber, subjektiv, hatte da das Gefühl, ich bin da viel erwachsener gewesen. Das sind ja Kinder.“ Und am Anfang als wir losfuhren saßen hinten auf der letzten Bank die Konfirmanden und ganz vorne – man sieht nur gut durch die Frontscheibe – saßen die Erwachsenen. Das Schlussbild war, dass alle vermischt waren und alle miteinander redeten, aber das war ein weiter Weg. Erst einmal kamen wir an in Groß Rosen. Ein Steinbruch, Granitsteinbruch: Vernichtung durch Arbeit. Wer dort hingeschickt wurde, der hatte vielleicht vier Wochen, vielleicht sechs Wochen und wer noch einen Tag länger lebte, war ein Wunder. 40.000 Menschen sind dort gestorben, umgekommen und wurden auch dorthin geschickt, damit sie niemals wiederkommen. Unsere Kirche wurde mit Granitquadern gebaut. Vielleicht gehen Sie nach einfach daran einmal entlang, das ist Granit.
Eigentlich kann man von dieser Reise nur kleine Szenen erzählen: Wir stehen zum Beispiel vor einem Eisenbahnwaggon und der ist bis obenhin beladen mit Granitbrocken. Die Erwachsenen stehen da, schauen und machen Fotos. Die Kinder nicht. Die Kinder gehen sofort, fragen einmal kurz „Dürfen wir?“ und dann klettern sie auf diesen Waggon rauf, nehmen diese Brocken und reichen sie sich einer dem anderen weiter, um zu spüren, wie schwer das ist. Und dann sagen die Erwachsenen: „Dürfen wir auch mal?“
Was das Kreuz auf Golgatha ist der Galgen in Groß Rosen. Und während die Erwachsenen von einer sehr kompetenten Führerin – die aber auch unentwegt redet und damit die Gedanken festhält bei sich und den Geist bändigt – so durch diesen Ort des Schreckens geführt werden, ist es gerade eine Konfirmandin, die sich von all diesen Worten gar nicht beeindrucken lässt und sich einfach auf den Boden setzt und anfängt zu weinen. Und es ist die einzig angemessene Reaktion. Denn es ist wirklich ein Ort des Schreckens, der jede Vorstellungskraft übersteigt. Wobei, wäre sie allein, setzte sich hin und weint, ginge sie allein weiter, würde sie in Breslau auf dem Markt, wo es so viel schöne Dinge gibt, es gleich Stück für Stück wieder verdrängen.
Nur gemeinsam kann ein Ganzes draus werden, was wirklich bewegt. Dass einer weint und einer zuhört und wir reden und denken nach und tauschen Dokumente aus, die Mitarbeiter von dem Archiv kommen. Und alle miteinander sind bewegt und erschüttert. Und wir gehen wieder aus dem Tor hinaus und es ist eins, was uns verbindet: Wir sind da und wir leben. Und es ist, ohne dass wir es genau benennen können, in diesem Gemeinsam-Erleben auch ein gemeinsamer Auftrag. Es ist ein pfingstliches Ereignis: gemeinsam, jeder für sich, eine Berufung.
Und: Es wird auch viel gelacht auf dieser Fahrt. Abends – noch am gleichen Abend erleben wir im Hotel eine urkomische Situation. Denn dieses Hotel ist sehr professionell auf Busse mit Senioren eingestellt. Alte Menschen, die sich ihre alte Heimat beschauen möchten. Ganze Busse kommen damit an. Und nachdem dann für sie gesungen wurde „Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsere weit und breit“, werden sie alle ins Bett geschickt. Man sagt „Gute Nacht“ und sie stehen busweise auf und gehen schlafen – alle – bis auf unsere gemischte Gruppe. Dann gibt’s diese witzige Situation als wir noch sitzen und miteinander reden, kommt der Hotelbesitzer, klatscht vor uns in die Hände und sagt: „Husch, husch. Jetzt aber alle ins Bett, jetzt wird geschlafen.“ Sie können Sie mal überlegen, ob Ihnen das schon einmal in einem Hotel passiert ist für das sie ganz normal bezahlt haben? Husch, husch, aber jetzt wird geschlafen (LACHEN DER GEMEINDE)
Verbindet das mal! Euer Lachen mit dem Wort von Christus‚ „So seid wachsam!“ und nüchtern und wir wollen nicht schlafen, wir wollen weiterreden. Wir haben so viel erlebt und da sind so viele Fragen und so viele offene Dinge und das braucht einfach mehr als acht Tage. Es ist bewegend, hier ist ein Anfang in dieser Gruppe zu sprechen und zu spüren: Alles ist erlaubt.
Eine Frau im mittleren Alter wusste, ihr Vater war bei der SS. Sie hat ihn gefragt, er hat wenig gesagt, er ist gestorben. Sie wird es nie wissen. Aber hier in dieser Gruppe kann sie auch sprechen, über ihre Gefühle, ihre Erfahrung, „Ich komme aus einer Täterfamilie“. Allein das auszusprechen, ist der Anfang von heil sein und ganz werden. Und auch einer Berufung.
Wie immer am Pfingstfest haben wir auch heute das Evangelium in vielen Sprachen gehört. Aber genauso ein Pfingstwunder ist es, wenn wir anfangen zu lernen, zu sprechen in allen Sprachen, die unser Leben beinhaltet. Als du noch keine Worte hattest, konntest du dich verständlich machen, denn nichts kann sich durchsetzen wie ein Säugling, Als du keine Worte hattest, konntest du alles um dich herum bewegen. Diese Kraft steckt noch in uns. Pfingstlich, Glossolalie. Du sprichst in Sprachen, die keiner versteht. Ich glaube, das knüpft an diese ganz frühe Erfahrung an. Wir können sprechen ohne Worte. Kinder sprechen anders als Jugendliche. Im Umgang mit Fremden bin ich höflich und versuche trotzdem, ehrlich und wahrhaftig zu sein. Wie geht das? Wie spreche ich in meiner Familie? Manchmal mutet man den Vertrauten am Meisten zu. Warum die Höflichkeit dem Fremden gegenüber? Warum nicht genauso nach innen? Wir sprechen mit so vielen Sprachen und genau das, alles zusammen ist unser Sprachkosmos.
Pfingsten heißt: Das alles kommt in Bewegung, darf leben und sich äußern
Es ist ein Glück, denn dann darfst du wirklich du selbst sein. So wie du wirklich bist, nicht festgelegt auf eine kleine Facette dessen, was du als Ganzes bist. Dann wirst du entdecken, alles ist miteinander verbunden, alles ist miteinander vernetzt. Wir können gucken, mit den Kindern hier in unserem Gottesdienst, ob es nur schöne Worte sind, oder ob Kindern wirklich das Himmelreich gehört und sie uns wirklich auf den Weg bringen.
Ihr könnt fragen: Was kostet es, ein Pastorat zu sanieren? Ihr könnt gucken, wie teuer es ist. Ihr könntet aber auch fragen: Die Granitsteine, wo habt ihr die her? Es gibt mittlerweile fair gehandelte Steine. Und bis heute sind es Kinder und Strafgefangene, die an fernen Orten in Steinbrüchen arbeiten. Viele ohne Lohn und immer mit viel zu wenig. Wir können nachfragen und uns vernetzen. Und es werden uns Geschichten aufgehen. Mir ist so etwas geschehen: Ich komm nach Hause, und sage zu meinem Schwiegervater: „Ludwig, sag mal, wir sind auf unserer Reise ganz nah an deinem Heimatdorfvorbei gefahren und Groß Rosen, das war doch nur 10km entfernt. Sag mal, was hast du davon eigentlich mal mitbekommen?“ Und da sagt er zu mir „Das hab ich dir doch schon oft erzählt.“ Und erzählt mir dann zum ersten Mal, dass sein Vater den Auftrag hatte, Kartoffeln nach Groß Rosen zu liefern. Einen ganzen Wagen voll soll er bringen, aber er soll selbst kommen, kein Knecht, kein anderer Arbeiter, nur der Bauer selbst. Und er wundert sich, dass aus dem Tor SS-Leute rauskommen und sich für Kartoffeln interessieren. Und die nehmen den Wagen und das Pferd und er soll draußen vor dem Tor stehen. Und nach einer Stunde ungefähr bekommt er den Wagen entladen und das Pferd zurück. Und ist erleichtert, man weiß ja nie. Aber er fragt sich auf dem Rückweg „Was ist das für ein seltsamer Ort?“ Und er hat mit seiner Familie und seinem Sohn darüber gesprochen. Zwei Jahre später verliert sich seine Spur, ist er vermisst und verloren im Krieg. Er hat mit seinem Son drüber gesprochen und der hat sich‘s gemerkt. War damals genauso alt wie ein Konfirmand und der Urenkel steht jetzt genau vor dem Tor und darf hineingehen in das Lager und darf sehen, wo diese Kartoffeln gelagert wurden.
Gebe Gott uns seinen Heiligen Geist und fülle er die Lücken, die das Leben lässt, wo wir vor einem Tor warten. Da gebe Gott uns seinen Heiligen Geist und dringe durch die Risse und Brüche in unserem Leben, wo wir irritiert sind und stehenbleiben, weil wir merken, dass hier irgendwas nicht stimmt und nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn noch sind wir alle weit miteinander entfernt vom Himmelreich auf Erden, aber wir miteinander und jeder für sich, wir sind berufen und begabt durch den Heiligen Geist den Weg dorthin zu finden. Und so bewahre und behüte uns der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft mit Herzen und Sinnen in Christus Jesus unsrem Herrn. Amen.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde,
es sind in der großen Pfingstgeschichte zwei kleine Worte. Wie ein Geländer können die uns hineinführen in die Pfingstwunder oder sie spannen sich vor uns auf wie eine Brücke, die uns hineinhilft. Zwei kleine Wörter und das sind: „alle“ und „jeder“.
Alle – Alle waren erfüllt vom Heiligen Geist. Alle fingen an zu sprechen. Über alle kam das Feuer und die Leidenschaft und jeder konnte es verstehen. Jeder hörte in genau seiner Sprache, jeder wurde genau dort getroffen, wo das Herz sich öffnet. Alle kamen zusammen und jeder spürte: Hier geschieht etwas Unglaubliches.
Einen Bruch gibt es in der Geschichte natürlich auch, sonst wäre sie ja nicht spannend. Ein paar regten sich auf. Ein paar meinten hämisch: „Die sind ja alle betrunken.“ Da sind sie wieder: alle. Aber auch sie hatten mitbekommen, dass hier etwas ganz Unglaubliches geschieht. Etwas, was alle verbindet und jeden angeht.
So deutet Petrus dann auch dieses Wunder: „Ihr wisst es doch, der Prophet Joel hat es euch gesagt, denn so spricht Gott. Ich will ausgießen meinen Heiligen Geist auf alles Fleisch und die Jungen werden anfangen und reden und die Alten werden Träume haben. Und sie werden alle weißsagen und künden von meiner Wahrheit.“
Eine Verheißung voller Sehnsucht nach Ganzsein, Heilsein und nicht jeder für sich allein, sondern alle miteinander und doch jeder ganz genau.
Es ist die Verheißung vom allerersten Morgen. Aller-ersten Morgen – alle Tage umgriffen in dem Licht des allerersten Morgens als die Schöpfung begann – Der Heilige Geist, der alles, was atmet und lebt ins Leben gerufen hat, belebt auch dich und beruft dich neu ins Leben hinein. Dass die göttliche Wahrheit ganz einfach ist, dass Seligkeit und Frieden und Gerechtigkeit niemals abnehmen, wenn du sie mit anderen teilst, sondern, dass sie mehr werden.
Ganzsein, kollektives Heilsein – davon gibt es die wunderbaren Geschichten, dass es mal war, ganz am Anfang, paradiesisch. Verloren ist es: Sündenfall, Turmbau, Sintflut. Vorbei die Zeit, wo alle Welt einerlei Zunge und alles Volk nur eine Sprache hatte, aber die Sehnsucht danach ist geblieben. Letztlich ist es die eine Verheißung, du bist das Ebenbild Gottes. Einmalig, wunderbar und heilig. Weil du es bist und alle anderen auch, seid ihr alle miteinander eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. Alle miteinander, weil es jeder für sich ist.
Dies hat die Menschen in Jerusalem erreicht, deshalb waren sie so berührt, Etwas, was größer und wunderbarer war als alles, was ein Mensch sich erdenken kann, hatte sie ganz und gar umgriffen. Darum war das, was da geschah auch keine Massenbewegung, keine Demagogie, wo einer eine große Rede schwingt und alle klatschen und sind begeistert. Am Pfingsttag in Jerusalem wird jeder ganz fein und genau getroffen. Alle unterschiedlich und doch alle miteinander verbunden. So beschirmt durch den Heiligen Geist können sie an diesem einen Tag alles Befremden, alle destruktiven Energien, alle Häme, allen Spott einfach abwehren. Das alles hat überhaupt gar keine Kraft, denn wo der Heilige Geist wirkt, ist es ganz zart, fein und genau und kraftvoll gewaltig. .
Unheimlich ist dieser Heilige Geist auch und darum in unserer protestantischen Tradition nicht das, das konsequent in den Mittelpunk gestellt wurde. Sie ist unheimlich. Denn einer stelle sich vor, es fängt etwas an und es spricht etwas aus dir heraus und du bist nicht mehr Herr deiner Selbst. Du fängst an und sagst wirklich die Wahrheit. Wenn es nur das ist, was du dir über alles so denkst, dann ist das schon in mancher Situation ganz schön gefährlich. Aber nun denke dir, du sprichst die Wahrheit Gottes aus, egal wo du bist, egal, ob die anderen sie hören wollen. Der Heilige Geist ist kraftvoll, unberechenbar und gefährlich.
Dazu kommt: Wir leben in Zeiten der Individualität. Das wird ganz hoch veranschlagt. Ein großer Wert: du selbst. Sei du selbst. Das ist der eine Pol, du bist das Ebenbild Gottes ist die theologische Grundlegung davon, du bist einmalig und wunderbar. Du bist begabt und hast so viel Potentiale in dir, mehr als du leben kannst. Und da ruft es von allen Seiten: Also sei du selbst, entfalte das, was in dir angelegt ist. Und – meist bleibt man dann auch damit allein – dass allzu viel dabei auf der Strecke bleibt. Denn wie soll einer allein alles umsetzen, was in ihm ist? Da kommt ein Wort zusammen: Allein. Alles in einem macht einsam und allein. Nur gemeinsam können wir die Fülle, die in jedem Menschen angelegt ist, wirklich entfalten, aussprechen und zum Klingen und zum Schwingen bringen. Alleine würde sie verkümmern. Gemeinsam werden wir uns zu Impulsgebern von Anregungen, Erinnerungshilfen.
Impulsgeber werden, Puls und Herzschlag von Glauben und von Hoffnung. Dann kann‘s eine lebendige Gemeinde werden und unser Leben ganz. Pfingsten kann eigentlich niemand für sich allein feiern, denn es ist eine große gemeinschaftliche Erfahrung, die uns über uns selbst hinaus hilft. Jetzt sind wir ja alle hier versammelt: singen, beten, hören das Evangelium und können uns Geschichten erzählen. Pfingsten werden Geschichten erzählt. Pfingsten ist eine einzig große Geschichte.
Da will ich anknüpfen und Ihnen erzählen, was wir erlebt haben. Denn vor zwei Wochen sind wir losgefahren und vor einer Woche sind wir wieder gekommen. Es waren 13 Erwachsene und sieben Konfirmanden. Wir haben uns zusammen auf eine weite Reise gemacht, 15 Stunden fährt man, bis man ankommt in Polen, ehemals Schlesien im Riesengebirge. Dorthin sind wir gereist, Stolpersteine haben uns auf den Weg gebracht hat. Stolpersteine, die in unserem Dorf verlegt wurden, für Opfer des Faschismus, die auf unserem Friedhof begraben wurden. Zwei Keitumer wurden im Konzentrationslager Groß Rosen ermordet, in Schlesien. Ich muss gestehen, ich habe den Namen erst gelernt, als ich hierher kam. Groß Rosen wird auch genannt die steinerne Hölle oder das vergessene Lager. Wäre es nicht so, dass Wilhelm Ernst Witteborg und Ludwig Borstelmann – der Vater von unserem ehemaligen Organisten Willi Borstelmann – wäre es nicht so, dass sie dorthin verschleppt worden wären und dort umgekommen wären, wir hätten uns wohl kaum auf den Weg gemacht.. Aber so ging es los: Zeitzeugen und Kinder, Alte und Junge. Und sie haben noch im Ohr die Verheißung vom Joel: „Eure Jungen werden anfangen zu reden und eure Alten werden Träume haben.“ Ein Älterer sagte, als er die Jugendlichen das erste Mal sah: „Ich dachte, wir fahren mit Konfirmanden, aber das sind ja Kinder.“ Und dann kam ein längerer Weg: „Ja, so alt warst du, als du konfirmiert wurdest.“ „Ich selber, subjektiv, hatte da das Gefühl, ich bin da viel erwachsener gewesen. Das sind ja Kinder.“ Und am Anfang als wir losfuhren saßen hinten auf der letzten Bank die Konfirmanden und ganz vorne – man sieht nur gut durch die Frontscheibe – saßen die Erwachsenen. Das Schlussbild war, dass alle vermischt waren und alle miteinander redeten, aber das war ein weiter Weg. Erst einmal kamen wir an in Groß Rosen. Ein Steinbruch, Granitsteinbruch: Vernichtung durch Arbeit. Wer dort hingeschickt wurde, der hatte vielleicht vier Wochen, vielleicht sechs Wochen und wer noch einen Tag länger lebte, war ein Wunder. 40.000 Menschen sind dort gestorben, umgekommen und wurden auch dorthin geschickt, damit sie niemals wiederkommen. Unsere Kirche wurde mit Granitquadern gebaut. Vielleicht gehen Sie nach einfach daran einmal entlang, das ist Granit.
Eigentlich kann man von dieser Reise nur kleine Szenen erzählen: Wir stehen zum Beispiel vor einem Eisenbahnwaggon und der ist bis obenhin beladen mit Granitbrocken. Die Erwachsenen stehen da, schauen und machen Fotos. Die Kinder nicht. Die Kinder gehen sofort, fragen einmal kurz „Dürfen wir?“ und dann klettern sie auf diesen Waggon rauf, nehmen diese Brocken und reichen sie sich einer dem anderen weiter, um zu spüren, wie schwer das ist. Und dann sagen die Erwachsenen: „Dürfen wir auch mal?“
Was das Kreuz auf Golgatha ist der Galgen in Groß Rosen. Und während die Erwachsenen von einer sehr kompetenten Führerin – die aber auch unentwegt redet und damit die Gedanken festhält bei sich und den Geist bändigt – so durch diesen Ort des Schreckens geführt werden, ist es gerade eine Konfirmandin, die sich von all diesen Worten gar nicht beeindrucken lässt und sich einfach auf den Boden setzt und anfängt zu weinen. Und es ist die einzig angemessene Reaktion. Denn es ist wirklich ein Ort des Schreckens, der jede Vorstellungskraft übersteigt. Wobei, wäre sie allein, setzte sich hin und weint, ginge sie allein weiter, würde sie in Breslau auf dem Markt, wo es so viel schöne Dinge gibt, es gleich Stück für Stück wieder verdrängen.
Nur gemeinsam kann ein Ganzes draus werden, was wirklich bewegt. Dass einer weint und einer zuhört und wir reden und denken nach und tauschen Dokumente aus, die Mitarbeiter von dem Archiv kommen. Und alle miteinander sind bewegt und erschüttert. Und wir gehen wieder aus dem Tor hinaus und es ist eins, was uns verbindet: Wir sind da und wir leben. Und es ist, ohne dass wir es genau benennen können, in diesem Gemeinsam-Erleben auch ein gemeinsamer Auftrag. Es ist ein pfingstliches Ereignis: gemeinsam, jeder für sich, eine Berufung.
Und: Es wird auch viel gelacht auf dieser Fahrt. Abends – noch am gleichen Abend erleben wir im Hotel eine urkomische Situation. Denn dieses Hotel ist sehr professionell auf Busse mit Senioren eingestellt. Alte Menschen, die sich ihre alte Heimat beschauen möchten. Ganze Busse kommen damit an. Und nachdem dann für sie gesungen wurde „Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsere weit und breit“, werden sie alle ins Bett geschickt. Man sagt „Gute Nacht“ und sie stehen busweise auf und gehen schlafen – alle – bis auf unsere gemischte Gruppe. Dann gibt’s diese witzige Situation als wir noch sitzen und miteinander reden, kommt der Hotelbesitzer, klatscht vor uns in die Hände und sagt: „Husch, husch. Jetzt aber alle ins Bett, jetzt wird geschlafen.“ Sie können Sie mal überlegen, ob Ihnen das schon einmal in einem Hotel passiert ist für das sie ganz normal bezahlt haben? Husch, husch, aber jetzt wird geschlafen (LACHEN DER GEMEINDE)
Verbindet das mal! Euer Lachen mit dem Wort von Christus‚ „So seid wachsam!“ und nüchtern und wir wollen nicht schlafen, wir wollen weiterreden. Wir haben so viel erlebt und da sind so viele Fragen und so viele offene Dinge und das braucht einfach mehr als acht Tage. Es ist bewegend, hier ist ein Anfang in dieser Gruppe zu sprechen und zu spüren: Alles ist erlaubt.
Eine Frau im mittleren Alter wusste, ihr Vater war bei der SS. Sie hat ihn gefragt, er hat wenig gesagt, er ist gestorben. Sie wird es nie wissen. Aber hier in dieser Gruppe kann sie auch sprechen, über ihre Gefühle, ihre Erfahrung, „Ich komme aus einer Täterfamilie“. Allein das auszusprechen, ist der Anfang von heil sein und ganz werden. Und auch einer Berufung.
Wie immer am Pfingstfest haben wir auch heute das Evangelium in vielen Sprachen gehört. Aber genauso ein Pfingstwunder ist es, wenn wir anfangen zu lernen, zu sprechen in allen Sprachen, die unser Leben beinhaltet. Als du noch keine Worte hattest, konntest du dich verständlich machen, denn nichts kann sich durchsetzen wie ein Säugling, Als du keine Worte hattest, konntest du alles um dich herum bewegen. Diese Kraft steckt noch in uns. Pfingstlich, Glossolalie. Du sprichst in Sprachen, die keiner versteht. Ich glaube, das knüpft an diese ganz frühe Erfahrung an. Wir können sprechen ohne Worte. Kinder sprechen anders als Jugendliche. Im Umgang mit Fremden bin ich höflich und versuche trotzdem, ehrlich und wahrhaftig zu sein. Wie geht das? Wie spreche ich in meiner Familie? Manchmal mutet man den Vertrauten am Meisten zu. Warum die Höflichkeit dem Fremden gegenüber? Warum nicht genauso nach innen? Wir sprechen mit so vielen Sprachen und genau das, alles zusammen ist unser Sprachkosmos.
Pfingsten heißt: Das alles kommt in Bewegung, darf leben und sich äußern
Es ist ein Glück, denn dann darfst du wirklich du selbst sein. So wie du wirklich bist, nicht festgelegt auf eine kleine Facette dessen, was du als Ganzes bist. Dann wirst du entdecken, alles ist miteinander verbunden, alles ist miteinander vernetzt. Wir können gucken, mit den Kindern hier in unserem Gottesdienst, ob es nur schöne Worte sind, oder ob Kindern wirklich das Himmelreich gehört und sie uns wirklich auf den Weg bringen.
Ihr könnt fragen: Was kostet es, ein Pastorat zu sanieren? Ihr könnt gucken, wie teuer es ist. Ihr könntet aber auch fragen: Die Granitsteine, wo habt ihr die her? Es gibt mittlerweile fair gehandelte Steine. Und bis heute sind es Kinder und Strafgefangene, die an fernen Orten in Steinbrüchen arbeiten. Viele ohne Lohn und immer mit viel zu wenig. Wir können nachfragen und uns vernetzen. Und es werden uns Geschichten aufgehen. Mir ist so etwas geschehen: Ich komm nach Hause, und sage zu meinem Schwiegervater: „Ludwig, sag mal, wir sind auf unserer Reise ganz nah an deinem Heimatdorfvorbei gefahren und Groß Rosen, das war doch nur 10km entfernt. Sag mal, was hast du davon eigentlich mal mitbekommen?“ Und da sagt er zu mir „Das hab ich dir doch schon oft erzählt.“ Und erzählt mir dann zum ersten Mal, dass sein Vater den Auftrag hatte, Kartoffeln nach Groß Rosen zu liefern. Einen ganzen Wagen voll soll er bringen, aber er soll selbst kommen, kein Knecht, kein anderer Arbeiter, nur der Bauer selbst. Und er wundert sich, dass aus dem Tor SS-Leute rauskommen und sich für Kartoffeln interessieren. Und die nehmen den Wagen und das Pferd und er soll draußen vor dem Tor stehen. Und nach einer Stunde ungefähr bekommt er den Wagen entladen und das Pferd zurück. Und ist erleichtert, man weiß ja nie. Aber er fragt sich auf dem Rückweg „Was ist das für ein seltsamer Ort?“ Und er hat mit seiner Familie und seinem Sohn darüber gesprochen. Zwei Jahre später verliert sich seine Spur, ist er vermisst und verloren im Krieg. Er hat mit seinem Son drüber gesprochen und der hat sich‘s gemerkt. War damals genauso alt wie ein Konfirmand und der Urenkel steht jetzt genau vor dem Tor und darf hineingehen in das Lager und darf sehen, wo diese Kartoffeln gelagert wurden.
Gebe Gott uns seinen Heiligen Geist und fülle er die Lücken, die das Leben lässt, wo wir vor einem Tor warten. Da gebe Gott uns seinen Heiligen Geist und dringe durch die Risse und Brüche in unserem Leben, wo wir irritiert sind und stehenbleiben, weil wir merken, dass hier irgendwas nicht stimmt und nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn noch sind wir alle weit miteinander entfernt vom Himmelreich auf Erden, aber wir miteinander und jeder für sich, wir sind berufen und begabt durch den Heiligen Geist den Weg dorthin zu finden. Und so bewahre und behüte uns der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft mit Herzen und Sinnen in Christus Jesus unsrem Herrn. Amen.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de