ST. SEVERIN

Predigt Pastor Reimann – Erntedankfest

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen.

Liebe Gemeinde,

das Bild vorgestern im Fernsehen lässt mich nicht los. 120 Särge auf der Fähre nach Lampedusa, der italienischen Insel im Mittelmeer, die dichter an Afrika liegt als an Italien und daher immer wieder ersehntes Ziel ist von Flüchtlingen aus Afrika. In den letzten zehn Jahren etwa 200.000, dieses Mal 500 auf einem völlig überladenen Schiff unterwegs, das ist gekentert und 120, wahrscheinlich 200, sind ums Leben gekommen. Menschen aus Eritrea, aus einem der ärmsten Länder der Welt, Dürre und Hunger prägen den Alltag dort, in der Hoffnung in Europa zumindest etwas Geld zu verdienen, um es den Familien in der Heimat zu schicken, ein Dollar am Tag würde das Leben ermöglichen, waren sie aufgebrochen und sind umgekommen.

In Hamburg, in der St. Pauli Kirche leben seit einigen Monaten 80 Flüchtlinge, die auch über Lampedusa gekommen sind, aus Libyen, nachdem unsere NATO-Bomber dort ihre Häuser zerstört haben. Eigentlich sollten sie geschützt werden von dem Regime, nun sollen sie, nachdem sie geflohen sind, weil ihre Lebensgrundlage zerstört ist, hier abgeschoben werden, bekommen keine Papiere, obwohl ein Bleiberecht gewährt werden könnte nach unseren Gesetzen.

Wie soll man, wenn man das liest und hört in unserer direkten Umgebung, wie soll man da Erntedank feiern? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so richtig. Ein Journalist kaufte ein Drei-Pfund-Brot und stellte sich in Hamburg in die Innenstadt, ist schon etwas her. Er fragte die Leute, ob sie dafür eine Stunde arbeiten würden. Die Leute haben ihn ausgelacht. In New York hat er das Gleiche gemacht. Dort wurde er sogar von der Polizei einkassiert. In Lagos, in Afrika, fanden sich schnell einige Leute, die sogar drei Stunden dafür gearbeitet hätten. Und im indischen Delhi sprach es sich so schnell herum, dass eine ganze Menschenmenge sich sammelte und jeder war bereit, einen ganzen Tag für das Brot zu arbeiten. So groß sind die Unterschiede auf dieser einen Welt. Ich erinnere mich selber daran, wie ich ganz hoffnungsvoll mit 14, 15 Jahren, Anfang in der Jugendgruppe, nach der Konfirmationszeit in einem Gottesdienst für „Brot für die Welt“ ein Projekt vorgestellt hab in der Hoffnung, dass mit dieser Aufmerksamkeit auf den Hunger in der Welt es doch bald gelingen könnte, alle Menschen zu versorgen. Und manchmal bin ich dann ziemlich traurig – das ist 35 Jahre her – denke: „Sind wir nicht weit gekommen?“ Ein bisschen Hoffnung sehe ich an den Zahlen. Eine Milliarde Menschen haben damals gehungert, jetzt sind es nur noch ungefähr 868 Millionen. Nicht viel Unterschied, aber in derselben Zeit ist ja auch die Weltbevölkerung um eine Milliarde gestiegen. Also doch ein Stückchen Hoffnung. Und wir haben inzwischen die technischen Möglichkeiten, wenn wir alles richtig ausnutzen und verteilen würden, dann könnten wir locker zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten ernähren. Aber es werden nur 47% der produzierten Pflanzen zur Ernährung genutzt, der Rest wird als Treibstoff oder als Brennmaterial oder für Industrieprodukte genutzt. Wie schaffen wir hier den nächsten Schritt? Es muss sich in der Einstellung von uns Menschen was ändern, aber wie? Irgendwie denken wir ja, es würde uns zustehen, was wir verdienen. Oder die Rente oder Pension, die wir bekommen, wir haben sie ja erarbeitet. Und Gott hat das ja auch genauso eingerichtet, dass wir mit unseren körperlichen und geistigen Fähigkeiten viel erreichen können. Doch unseren Erfolg sehen wir als unseren persönlichen Erfolg, nicht als Teilerfolg der großen Weltgemeinschaft, den wir mit der Weltgemeinschaft teilen müssten.

Der Beruf spielt im Leben eines Menschen eine wesentliche Rolle. Nicht selten wächst oder fällt das eigene Selbstwertgefühl mit dem Erfolg, mit Niederlagen im Berufsleben. Der Umfang unseres beruflichen Engagements ist nicht immer nur von unserer Entscheidung abhängig, häufig muss man den vom Arbeitgeber geforderten Einsatz einfach erfüllen, um nicht den eigenen Arbeitsplatz dann zu gefährden. Eine ständige Profilierung ist die Folge, Ellenbogen. Nicht minder treibt einen aber auch der eigene Ehrgeiz und die Freude auch am Beruf in immer höheres Engagement. Privatleben wird eingeschränkt, Hobbies und andere vom Wesentlichen ablenkende Dinge werden peu á peu reduziert, das soziale Leben findet nur noch in der Firma statt, andere Kontakte verlieren an Regelmäßigkeit. Die Arbeitsverdichtung ist in den letzten Jahren immer mehr gestiegen. Ich sehe das immer in dem Beispiel: Früher durfte man in Ruhe irgendwohin, Auto fahren, Musik hören oder ein Hörbuch. Heute wird meistens verlangt, dass man mit Freisprecheinrichtung noch einige Termine abstimmt oder einige Gespräche führt. Das ist für mich so eines der stärksten Beispiele für Arbeitsverdichtung. Das Aufgehen im Beruf kann alles, was einem wichtig gewesen ist, zweitrangig erscheinen lassen. Der Blick für das eigene Sein, verengt sich, die Lebenswelt gerät in Gefahr eindimensional zu werden. Antriebsfeder für ein solches Tun ist der Wunsch finanziell unabhängiger, gesellschaftlich angesehener und glücklicher, ja, erfüllter zu leben. Aber in der völligen Berufsbezogenheit des eigenen Lebens lauern Gefahren für die eigene Seele. Für den eigenen Charakter. Denn zumeist wird der Eigenerfolg allein dem persönlichen Einsatz der eigenen Kreativität, dem eigenen Verdienst und der eigenen Leistungsfähigkeit zugeschrieben. Man selbst fühlt sich als Herr oder Frau des Erfolges, andere Menschen sind eher Nebenfiguren. Die Früchte des Erfolges hat man selbst gesät, die Ernte selbst eingefahren. Frei nach dem Motto: Ohne Gott und Sonnenschein holen wir die Ernte ein. Das Ich garantiert den Erfolg, ein Erfolg, der einsam machen kann, beziehungslos und oberflächlich. Das Ziel ist klar und  wird in einigen  Kreisen dann so heißt es: „Ich geb jetzt mal voll Gas und dann kann ich mit 50 oder etwas später, früher in Ruhestand gehen und das Leben genießen. Aber vielleicht ist es dann für Einiges zu spät, man ist nicht mehr fit, die Kinder sind groß. Der erworbene Besitz, der erreichte Wohlstand soll einen frei machen, soll einem das Fundament liefern, auf dem sich dann wirklich beruhigt leben lässt. Man hört den Evangeliumstext im Hintergrund. „Habe Seele, Ruhe für viele Jahre, meine Seele.“, und dann das Erwachen. Gehen wir da richtig um mit der Zeit? Ist es ein verantwortlicher Umgang mit den Gaben, die uns gegeben sind? Himmel und Erde unserm Leben zusammenzuhalten, das reich zu sein vor Gott, nicht zu vergessen. Was ist reich sein vor Gott? Um den Blick für Gott und die Menschen zu haben, darauf kommt es an. Die ganzheitliche Lebensschau führt zur Relativierung des Selbst und führt zum Dank, zum Dank für das, was Gott einem im Leben geschenkt hat. Leo Tolstoi schreibt in einer Erzählung „Wie viel Erde braucht der Mensch?“ von Pachom, einem fleißigen Bauern. Er hat gehört, dass in Baschkrien der Boden sehr billig sei und er reist dorthin und erfährt: Alles Land, was du von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu Fuß umrunden kannst, das bekommt jeder für den Preis von 1000 Rubel. Am nächsten Morgen macht er sich auf. Mit aller Kraft, geht schnell, umkreist ein Stück fruchtbarer Erde, aber er hat sich wohl überschätzt. Der Rückweg wird ihm sehr schwer. Pachom warf nochmals den Blick auf die Sonne. ihr unterer Rand war schon hinter dem Horizont verschwunden, der obere wölbt sich wie ein Bogen über der Erde. Pachom rafft sich zu einer letzten Anstrengung auf, lief mit weit vorgebeugtem Oberkörper und konnte kaum schnell genug die Füße nachziehen, um nicht zu fallen. Als er vor dem Berg ankam, an dem er am Morgen losgelaufen war, wurde es plötzlich dunkel. Er blickte sich um, die Sonne war schon untergegangen. Alles umsonst, dachte er. Und dann sah er, dass der Schatten nur bis zu ihm heruntergereicht war und er noch eine Chance hatte, wenn er den Berg jetzt hochrennen würde, dort oben schien noch die Sonne. Und mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, rannte er den Berg nach oben. Dort oben angekommen saß der Alter, der ihn am Morgen begrüßt hatte und lachte und Parchon stöhnte, seine Beine knickten ein, er stürzte vornüber zu Boden, konnte gerade noch seine Mütze fassen. „Ei, was für ein Teufelskerl!“, rief der Alte, „Hast dir ein richtig großes Stück verschafft.“ Pachoms Knecht kam hinzu und wollte ihn aufrichten, aber aus dessen Mund strömte Blut. Er lag entseelt am Boden. Der Baschkerim schnalzte mit der Zunge, der Alte, und bedauerte ihn. Da hob der Knecht die Schippe auf und grub für Pachom ein Grab. Er hatte diese Fläche, zweimal ein Meter, für sich erworben. Aber wie kriegen wir das praktisch hin? Wie kriegen wir das praktisch hin unseren Erfolg als Teil des Erfolges der ganzen Menschheit zu sehen? Mit kleinen Schritten. Wenigstens mit kleinen, vielleicht werden daraus viele und dann mehr. „Brot für die Welt“, wofür wir nachher sammeln, die Aktion, die gleich nach dem Krieg angefangen Hilfe zur Selbsthilfe für die ärmeren Länder dieser Welt zu organisieren. Die sagen: „Fangt doch einfach damit an!“ Weniger Fleisch zu essen. Und, bezeichnend, dass Deutschland dafür scheinbar noch nicht reif ist, wenn vorgeschlagen wird einen Veggie-Day, einen Donnerstag ohne Fleisch zu machen, dann bedeutet das gleich: „Oh Gott, die Einschränkung der persönlichen Freiheit.“ Dabei ist es ja ein gutes Zeichen im Grunde genommen, denn es bedeutet ja weniger Soja, Tierfutter wird dort angebaut, wo andere Lebensmittel anbauen könnten. Wenn wir Dinge kaufen, die aus der Region sind, oder nicht Erdbeeren zu Weihnachten, sondern dann, wenn sie reif sind. Wo es gelingt aus fairem Handel, dann sind wir ein Stück weiter. Wenn wir mal öfter das Fahrrad nehmen oder öffentliche Verkehrsmittel und wenn es gelingt, Lebensmittel einzusparen. Es ist  die erschreckendste Zahl für mich, dass die Hälfte – 50 Prozent – der in den Industrieländern produzierten Lebensmittel nicht verzehrt werden. Weil sie nicht mehr schön aussehen im Supermarkt und schon weggeworfen werden. Oder weil wir uns verkalkuliert haben, bei dem, wie wir unseren Kühlschrank gefüllt haben. Und das sind wirklich Dinge, wo man anfangen kann. Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, es war den Sommer über groß dieses Plakat zu sehen von „Brot für die Welt“. Auch während des Kirchentages in Hamburg, es sind dort Früchte, Obst und Gemüse, drauf und es steht „Verschwenden das Essen“, das „sch“ ist durchgestrichen. Verschwenden beenden durch Verwenden, also das „sch“ durchgestrichen. So einfach, ist manchmal ein Wortspiel mit so einer tiefen Bedeutung, Verschwenden beenden durch Verwenden. Ein Stück kann da mit Sicherheit jeder an Verantwortung tun, denn zusammengerechnet, wenn die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen wird, wäre das ja doch ein ganz schöner Fortschritt, wenn man da ein Stück weiterkommt. Das wäre dann ganz konkret Brotbrechen – Brich mit den Hungrigen dein Brot!

Ich hätt noch eine Geschichte zu diesem Evangeliumstext des reichen Kornbauern, noch eine Umwandlung mit einem Happy End gefunden. Und damit möchte ich enden.

Es war einmal ein reicher Bauer, zu dem sprach seine Frau an einem schönen Herbsttag: „Mann, wir haben eine gute Ernte gehabt, Küche und Keller, Scheunen und Vorratskammern sind voll. Lass uns das Erntedankfest feiern.“ „Nein“, antwortete der Bauer, „für die Ernte habe ich hart genug arbeiten müssen. Bin ich nicht jeden Morgen beim Hahnenschrei aufgestanden. Wie soll ich für etwas danken, was doch allein mein Verdienst ist? Ich will ins Wirtshaus gehen und einen Schoppen Wein darauf trinken.“ Damit verließ er das Haus. Als er ein Stück gegangen war, sah er am Wegrand, im warmen Herbstsonnenschein einen Mann mit seiner Frau und zwei Kindern sitzen. Die vier hatten nichts bei sich als ein Bündel aus rot-weiß-karierten Leinen. Der Vater knüpfte es auf und nahm ein kleines Brot und zwei Handvoll Trauben heraus. Der Bauer blieb stehen. „Setzt euch nur zu uns, wenn Ihr hungrig seid“, sagte der Mann. „Es ist nur ein einfaches Mal, das ich euch anbieten kann, aber das Brot ist frisch und die Trauben sind süß. Ein guter Nachbar hat sie uns mit auf den Weg gegeben. Denn unser Haus ist vor einigen Tagen dem Feuer zum Opfer gefallen und all unser Hab und Gut mit ihm.“ „Nein danke, ich bin nicht hungrig“, antwortete der Bauer. Auch reichen ja Trauben und Brot kaum für euch selbst. Mich wundert, dass ihr da so vergnügt in der Sonne sitzt und nicht weint und klagt über das, was euch widerfahren ist.“ „Wie sollten wir weinen oder klagen?“, entgegnete der Mann. „Meine Frau, meine Kinder und ich sind dem Feuer unbeschadet entkommen. Dafür danken wir Gott. Und auch für die guten Gaben, die wir in seiner goldenen Sonne zu uns nehmen dürfen.“ Damit teilte er das Brot und die Trauben und alle ließen es sich schmecken. Der Bauer blieb noch einen Moment nachdenklich stehen. Etwas wie Scham erfüllte sein Herz. „Kommt mit in mein Haus“, sprach er dann. „Ich weiß etwas Besseres als ins Wirtshaus zu gehen.“ Die Familie nahm die Einladung an und folgte dem Bauern. „Komm, Frau!“, rief der Bauer beim Eintreten. „Wir wollen Erntedankfest feiern. Diese guten Leute haben mir gezeigt, was es heißt, dankbar zu sein und auch, was es bedeutet zu teilen.“ Da setzten sie sich alle fröhlich zu Tisch und sprachen das Dankgebet.

Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de

Predigt Pastor Reimann – Erntedankfest

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen.

Liebe Gemeinde,

das Bild vorgestern im Fernsehen lässt mich nicht los. 120 Särge auf der Fähre nach Lampedusa, der italienischen Insel im Mittelmeer, die dichter an Afrika liegt als an Italien und daher immer wieder ersehntes Ziel ist von Flüchtlingen aus Afrika. In den letzten zehn Jahren etwa 200.000, dieses Mal 500 auf einem völlig überladenen Schiff unterwegs, das ist gekentert und 120, wahrscheinlich 200, sind ums Leben gekommen. Menschen aus Eritrea, aus einem der ärmsten Länder der Welt, Dürre und Hunger prägen den Alltag dort, in der Hoffnung in Europa zumindest etwas Geld zu verdienen, um es den Familien in der Heimat zu schicken, ein Dollar am Tag würde das Leben ermöglichen, waren sie aufgebrochen und sind umgekommen.

In Hamburg, in der St. Pauli Kirche leben seit einigen Monaten 80 Flüchtlinge, die auch über Lampedusa gekommen sind, aus Libyen, nachdem unsere NATO-Bomber dort ihre Häuser zerstört haben. Eigentlich sollten sie geschützt werden von dem Regime, nun sollen sie, nachdem sie geflohen sind, weil ihre Lebensgrundlage zerstört ist, hier abgeschoben werden, bekommen keine Papiere, obwohl ein Bleiberecht gewährt werden könnte nach unseren Gesetzen.

Wie soll man, wenn man das liest und hört in unserer direkten Umgebung, wie soll man da Erntedank feiern? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so richtig. Ein Journalist kaufte ein Drei-Pfund-Brot und stellte sich in Hamburg in die Innenstadt, ist schon etwas her. Er fragte die Leute, ob sie dafür eine Stunde arbeiten würden. Die Leute haben ihn ausgelacht. In New York hat er das Gleiche gemacht. Dort wurde er sogar von der Polizei einkassiert. In Lagos, in Afrika, fanden sich schnell einige Leute, die sogar drei Stunden dafür gearbeitet hätten. Und im indischen Delhi sprach es sich so schnell herum, dass eine ganze Menschenmenge sich sammelte und jeder war bereit, einen ganzen Tag für das Brot zu arbeiten. So groß sind die Unterschiede auf dieser einen Welt. Ich erinnere mich selber daran, wie ich ganz hoffnungsvoll mit 14, 15 Jahren, Anfang in der Jugendgruppe, nach der Konfirmationszeit in einem Gottesdienst für „Brot für die Welt“ ein Projekt vorgestellt hab in der Hoffnung, dass mit dieser Aufmerksamkeit auf den Hunger in der Welt es doch bald gelingen könnte, alle Menschen zu versorgen. Und manchmal bin ich dann ziemlich traurig – das ist 35 Jahre her – denke: „Sind wir nicht weit gekommen?“ Ein bisschen Hoffnung sehe ich an den Zahlen. Eine Milliarde Menschen haben damals gehungert, jetzt sind es nur noch ungefähr 868 Millionen. Nicht viel Unterschied, aber in derselben Zeit ist ja auch die Weltbevölkerung um eine Milliarde gestiegen. Also doch ein Stückchen Hoffnung. Und wir haben inzwischen die technischen Möglichkeiten, wenn wir alles richtig ausnutzen und verteilen würden, dann könnten wir locker zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten ernähren. Aber es werden nur 47% der produzierten Pflanzen zur Ernährung genutzt, der Rest wird als Treibstoff oder als Brennmaterial oder für Industrieprodukte genutzt. Wie schaffen wir hier den nächsten Schritt? Es muss sich in der Einstellung von uns Menschen was ändern, aber wie? Irgendwie denken wir ja, es würde uns zustehen, was wir verdienen. Oder die Rente oder Pension, die wir bekommen, wir haben sie ja erarbeitet. Und Gott hat das ja auch genauso eingerichtet, dass wir mit unseren körperlichen und geistigen Fähigkeiten viel erreichen können. Doch unseren Erfolg sehen wir als unseren persönlichen Erfolg, nicht als Teilerfolg der großen Weltgemeinschaft, den wir mit der Weltgemeinschaft teilen müssten.

Der Beruf spielt im Leben eines Menschen eine wesentliche Rolle. Nicht selten wächst oder fällt das eigene Selbstwertgefühl mit dem Erfolg, mit Niederlagen im Berufsleben. Der Umfang unseres beruflichen Engagements ist nicht immer nur von unserer Entscheidung abhängig, häufig muss man den vom Arbeitgeber geforderten Einsatz einfach erfüllen, um nicht den eigenen Arbeitsplatz dann zu gefährden. Eine ständige Profilierung ist die Folge, Ellenbogen. Nicht minder treibt einen aber auch der eigene Ehrgeiz und die Freude auch am Beruf in immer höheres Engagement. Privatleben wird eingeschränkt, Hobbies und andere vom Wesentlichen ablenkende Dinge werden peu á peu reduziert, das soziale Leben findet nur noch in der Firma statt, andere Kontakte verlieren an Regelmäßigkeit. Die Arbeitsverdichtung ist in den letzten Jahren immer mehr gestiegen. Ich sehe das immer in dem Beispiel: Früher durfte man in Ruhe irgendwohin, Auto fahren, Musik hören oder ein Hörbuch. Heute wird meistens verlangt, dass man mit Freisprecheinrichtung noch einige Termine abstimmt oder einige Gespräche führt. Das ist für mich so eines der stärksten Beispiele für Arbeitsverdichtung. Das Aufgehen im Beruf kann alles, was einem wichtig gewesen ist, zweitrangig erscheinen lassen. Der Blick für das eigene Sein, verengt sich, die Lebenswelt gerät in Gefahr eindimensional zu werden. Antriebsfeder für ein solches Tun ist der Wunsch finanziell unabhängiger, gesellschaftlich angesehener und glücklicher, ja, erfüllter zu leben. Aber in der völligen Berufsbezogenheit des eigenen Lebens lauern Gefahren für die eigene Seele. Für den eigenen Charakter. Denn zumeist wird der Eigenerfolg allein dem persönlichen Einsatz der eigenen Kreativität, dem eigenen Verdienst und der eigenen Leistungsfähigkeit zugeschrieben. Man selbst fühlt sich als Herr oder Frau des Erfolges, andere Menschen sind eher Nebenfiguren. Die Früchte des Erfolges hat man selbst gesät, die Ernte selbst eingefahren. Frei nach dem Motto: Ohne Gott und Sonnenschein holen wir die Ernte ein. Das Ich garantiert den Erfolg, ein Erfolg, der einsam machen kann, beziehungslos und oberflächlich. Das Ziel ist klar und  wird in einigen  Kreisen dann so heißt es: „Ich geb jetzt mal voll Gas und dann kann ich mit 50 oder etwas später, früher in Ruhestand gehen und das Leben genießen. Aber vielleicht ist es dann für Einiges zu spät, man ist nicht mehr fit, die Kinder sind groß. Der erworbene Besitz, der erreichte Wohlstand soll einen frei machen, soll einem das Fundament liefern, auf dem sich dann wirklich beruhigt leben lässt. Man hört den Evangeliumstext im Hintergrund. „Habe Seele, Ruhe für viele Jahre, meine Seele.“, und dann das Erwachen. Gehen wir da richtig um mit der Zeit? Ist es ein verantwortlicher Umgang mit den Gaben, die uns gegeben sind? Himmel und Erde unserm Leben zusammenzuhalten, das reich zu sein vor Gott, nicht zu vergessen. Was ist reich sein vor Gott? Um den Blick für Gott und die Menschen zu haben, darauf kommt es an. Die ganzheitliche Lebensschau führt zur Relativierung des Selbst und führt zum Dank, zum Dank für das, was Gott einem im Leben geschenkt hat. Leo Tolstoi schreibt in einer Erzählung „Wie viel Erde braucht der Mensch?“ von Pachom, einem fleißigen Bauern. Er hat gehört, dass in Baschkrien der Boden sehr billig sei und er reist dorthin und erfährt: Alles Land, was du von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu Fuß umrunden kannst, das bekommt jeder für den Preis von 1000 Rubel. Am nächsten Morgen macht er sich auf. Mit aller Kraft, geht schnell, umkreist ein Stück fruchtbarer Erde, aber er hat sich wohl überschätzt. Der Rückweg wird ihm sehr schwer. Pachom warf nochmals den Blick auf die Sonne. ihr unterer Rand war schon hinter dem Horizont verschwunden, der obere wölbt sich wie ein Bogen über der Erde. Pachom rafft sich zu einer letzten Anstrengung auf, lief mit weit vorgebeugtem Oberkörper und konnte kaum schnell genug die Füße nachziehen, um nicht zu fallen. Als er vor dem Berg ankam, an dem er am Morgen losgelaufen war, wurde es plötzlich dunkel. Er blickte sich um, die Sonne war schon untergegangen. Alles umsonst, dachte er. Und dann sah er, dass der Schatten nur bis zu ihm heruntergereicht war und er noch eine Chance hatte, wenn er den Berg jetzt hochrennen würde, dort oben schien noch die Sonne. Und mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, rannte er den Berg nach oben. Dort oben angekommen saß der Alter, der ihn am Morgen begrüßt hatte und lachte und Parchon stöhnte, seine Beine knickten ein, er stürzte vornüber zu Boden, konnte gerade noch seine Mütze fassen. „Ei, was für ein Teufelskerl!“, rief der Alte, „Hast dir ein richtig großes Stück verschafft.“ Pachoms Knecht kam hinzu und wollte ihn aufrichten, aber aus dessen Mund strömte Blut. Er lag entseelt am Boden. Der Baschkerim schnalzte mit der Zunge, der Alte, und bedauerte ihn. Da hob der Knecht die Schippe auf und grub für Pachom ein Grab. Er hatte diese Fläche, zweimal ein Meter, für sich erworben. Aber wie kriegen wir das praktisch hin? Wie kriegen wir das praktisch hin unseren Erfolg als Teil des Erfolges der ganzen Menschheit zu sehen? Mit kleinen Schritten. Wenigstens mit kleinen, vielleicht werden daraus viele und dann mehr. „Brot für die Welt“, wofür wir nachher sammeln, die Aktion, die gleich nach dem Krieg angefangen Hilfe zur Selbsthilfe für die ärmeren Länder dieser Welt zu organisieren. Die sagen: „Fangt doch einfach damit an!“ Weniger Fleisch zu essen. Und, bezeichnend, dass Deutschland dafür scheinbar noch nicht reif ist, wenn vorgeschlagen wird einen Veggie-Day, einen Donnerstag ohne Fleisch zu machen, dann bedeutet das gleich: „Oh Gott, die Einschränkung der persönlichen Freiheit.“ Dabei ist es ja ein gutes Zeichen im Grunde genommen, denn es bedeutet ja weniger Soja, Tierfutter wird dort angebaut, wo andere Lebensmittel anbauen könnten. Wenn wir Dinge kaufen, die aus der Region sind, oder nicht Erdbeeren zu Weihnachten, sondern dann, wenn sie reif sind. Wo es gelingt aus fairem Handel, dann sind wir ein Stück weiter. Wenn wir mal öfter das Fahrrad nehmen oder öffentliche Verkehrsmittel und wenn es gelingt, Lebensmittel einzusparen. Es ist  die erschreckendste Zahl für mich, dass die Hälfte – 50 Prozent – der in den Industrieländern produzierten Lebensmittel nicht verzehrt werden. Weil sie nicht mehr schön aussehen im Supermarkt und schon weggeworfen werden. Oder weil wir uns verkalkuliert haben, bei dem, wie wir unseren Kühlschrank gefüllt haben. Und das sind wirklich Dinge, wo man anfangen kann. Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben, es war den Sommer über groß dieses Plakat zu sehen von „Brot für die Welt“. Auch während des Kirchentages in Hamburg, es sind dort Früchte, Obst und Gemüse, drauf und es steht „Verschwenden das Essen“, das „sch“ ist durchgestrichen. Verschwenden beenden durch Verwenden, also das „sch“ durchgestrichen. So einfach, ist manchmal ein Wortspiel mit so einer tiefen Bedeutung, Verschwenden beenden durch Verwenden. Ein Stück kann da mit Sicherheit jeder an Verantwortung tun, denn zusammengerechnet, wenn die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen wird, wäre das ja doch ein ganz schöner Fortschritt, wenn man da ein Stück weiterkommt. Das wäre dann ganz konkret Brotbrechen – Brich mit den Hungrigen dein Brot!

Ich hätt noch eine Geschichte zu diesem Evangeliumstext des reichen Kornbauern, noch eine Umwandlung mit einem Happy End gefunden. Und damit möchte ich enden.

Es war einmal ein reicher Bauer, zu dem sprach seine Frau an einem schönen Herbsttag: „Mann, wir haben eine gute Ernte gehabt, Küche und Keller, Scheunen und Vorratskammern sind voll. Lass uns das Erntedankfest feiern.“ „Nein“, antwortete der Bauer, „für die Ernte habe ich hart genug arbeiten müssen. Bin ich nicht jeden Morgen beim Hahnenschrei aufgestanden. Wie soll ich für etwas danken, was doch allein mein Verdienst ist? Ich will ins Wirtshaus gehen und einen Schoppen Wein darauf trinken.“ Damit verließ er das Haus. Als er ein Stück gegangen war, sah er am Wegrand, im warmen Herbstsonnenschein einen Mann mit seiner Frau und zwei Kindern sitzen. Die vier hatten nichts bei sich als ein Bündel aus rot-weiß-karierten Leinen. Der Vater knüpfte es auf und nahm ein kleines Brot und zwei Handvoll Trauben heraus. Der Bauer blieb stehen. „Setzt euch nur zu uns, wenn Ihr hungrig seid“, sagte der Mann. „Es ist nur ein einfaches Mal, das ich euch anbieten kann, aber das Brot ist frisch und die Trauben sind süß. Ein guter Nachbar hat sie uns mit auf den Weg gegeben. Denn unser Haus ist vor einigen Tagen dem Feuer zum Opfer gefallen und all unser Hab und Gut mit ihm.“ „Nein danke, ich bin nicht hungrig“, antwortete der Bauer. Auch reichen ja Trauben und Brot kaum für euch selbst. Mich wundert, dass ihr da so vergnügt in der Sonne sitzt und nicht weint und klagt über das, was euch widerfahren ist.“ „Wie sollten wir weinen oder klagen?“, entgegnete der Mann. „Meine Frau, meine Kinder und ich sind dem Feuer unbeschadet entkommen. Dafür danken wir Gott. Und auch für die guten Gaben, die wir in seiner goldenen Sonne zu uns nehmen dürfen.“ Damit teilte er das Brot und die Trauben und alle ließen es sich schmecken. Der Bauer blieb noch einen Moment nachdenklich stehen. Etwas wie Scham erfüllte sein Herz. „Kommt mit in mein Haus“, sprach er dann. „Ich weiß etwas Besseres als ins Wirtshaus zu gehen.“ Die Familie nahm die Einladung an und folgte dem Bauern. „Komm, Frau!“, rief der Bauer beim Eintreten. „Wir wollen Erntedankfest feiern. Diese guten Leute haben mir gezeigt, was es heißt, dankbar zu sein und auch, was es bedeutet zu teilen.“ Da setzten sie sich alle fröhlich zu Tisch und sprachen das Dankgebet.

Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
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Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de