ST. SEVERIN

Pastorin Susanne Zingel, Sonntag Reminiscere, 13.02.2022

Predigttext Matthäus 26, 36 – 46 Jesus im Garten Gethsemane

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

 

Liebe Gemeinde,

was sollen wir tun, wenn wir „in höchsten Nöten sein“?
Alle Texte und alle Choräle sagen uns an diesem Sonntag: „Dann nimm Zuflucht zu dem Barmherzigen, nimm Zuflucht zu dem Ewigen. Bitte und bete für dich und für alle Menschen und alle Anliegen, die dir am Herzen liegen. Nimm Zuflucht zu Gott, denn er allein ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Deine Perspektive wird sich ändern. Du gewinnst Abstand.

Zwei Geschichten erzählen, wie Jesus Zuflucht genommen hat zu Gott. Öfter wird berichtet: „Jesus aber ging am Abend an einen einsamen Ort und betete“. Das durchzieht die ganzen Evangelien. Aber was er da tat an diesen einsamen Orten, das wird uns nur zweimal erzählt. Am Anfang – davon haben wir am letzten Sonntag Invokavit gehört – da widersteht er dem Teufel mit seiner Versuchung. Das ist der Anfang. Bevor Jesus in der Öffentlichkeit erscheint, bereitet er sich vor. Er fastet und betet in der Wüste, an dem Ort, wo das Volk Israel in die Freiheit gezogen ist. Um ganz klar und vorbereitet anzufangen – damit du am Ende nicht woanders ankommst, als du wolltest.
Darum geht Jesus in die Wüste, und es begegnet ihm der Teufel – das Gestalt gewordene Böse. Und da das Böse so facettenreich ist, in so vielen Gestalten vorkommt, wäre ein Diabolo – ein „Durcheinanderschmeißer“, ein Verführer – die beste Figur, um über das Böse zu reden. In der Wüste widersteht Jesus. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das Gott zu dir spricht – Du sollst Gott nicht versuchen – Nicht mal sehen, was passiert, wenn du alles zerschmetterst und zerschmeißt“. Und: „Du sollst Gott allein anbeten und nichts sonst“, so beginnt Jesus.

Und diese Geschichte spiegelt sich im Garten Gethsemane: Jesus war in der Wüste allein, hier sind drei Jünger dabei. Die kennen wir gut: Petrus, Jakobus und Johannes. Diese drei sind immer dabei, wenn etwas wichtig ist – so wie auf dem Berg der Verklärung.
Im Garten Gethsemane sind sie da – und doch nicht dabei: Sie schlafen ein. Und niemand, kein Mensch war jemals dabei als Jesus gebetet hat: „Mein Vater, mein Vater, wenn es geht, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber Dein Wille geschehe und nicht meiner.“
Es ist die Stunde, wo Jesus unausweichlich sieht, dass er in die Hände der Menschen fallen und sterben wird. Und es ist nicht Angst vor dem Tod, die ihn sagen lässt: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ Es ist etwas anderes. In diesem Moment kommt wieder der Teufel und schiebt zwischen alles, was vorher mit Sinn erfüllt war, eine grauenhafte Sinnlosigkeit. Was, wenn Jesus sich geirrt hat, wenn das hier kein Durchgang ist, der in das Leben führt, sondern einfach in das Nichts, in den Tod? Nicht das Sterben, sondern das Gefühl absoluter Sinnlosigkeit überkommt Jesus, und damit hat er zu kämpfen.

Diese Stunde ist die letzte Chance des Teufels. Das hat mir jemand erzählt, den ich im Hospiz begleiten durfte. Er hatte seinen Frieden gefunden, indem er sich an einem Luther-Zitat festhielt: „… kurz vor dem Tod kommt der Teufel und nimmt alles von dir, was in deinem Leben mit Sinn erfüllt war, mit Glück und Liebe und Heil. Er wird versuchen, dass all das dir entschwindet. Deine Seele ist herausgefordert dem zu widerstehen, und es ist ein Glück, wenn dann die Bilder von Licht, von Wärme und Liebe und Hoffnung in dir stark genug sind.“

Für uns ist es ein Symbol, wenn wir in der Passionszeit den Altar schließen. Wir wissen: Inwendig ist alles golden – und das ist schön: Golden der erste Moment des Auferstandenen, golden hält Maria seit Jahrhunderten ihr Kind im Arm.

Durch die Jahrhunderte werden Menschen immer wieder aufstehen und sie werden sich immer wieder für das Gute einsetzen. Mütter werden immer wieder Kinder in die Welt hineintragen. Es steht da und ist unverrückbar.
Aber es gibt Augenblicke, und die können lang sein – manchmal ein ganzes Leben, da ist die Tür geschlossen. Es ist wie in der Passionszeit, wie ein verschlossener Altar.
Spielen wir etwas nach, gehen wir mit unserer Seele hinein in eine Erfahrung: Heute scheint die Sonne, heute ist Sonntag, wir sind unterwegs, wir machen vielleicht gerade Urlaub – heute kann die Seele Kraft gewinnen, und diese Kraft können wir vielleicht an einem anderen Tag brauchen. Darum feiern wir Gottesdienst: Damit wir – wenn uns das Leben in einen Garten Gethsemane führt, wir etwas haben, das uns widerständig bleiben lässt.
So wie Jesus auf dem Passionsbild auf unserem Altar bruchstückhaft zu erkennen ist: Er kniet aufrecht und betet. Die Jünger hat es dahingezogen, sie sind zusammengesackt, ein Seufzen: „Jetzt werde ich unendlich müde…“
Unendlich müde – aber es wird nur einen Augenblick dauern, da wird Petrus wieder hellwach sein. Ihr könnt es auf dem Altar sehen: Die Soldaten kommen und wollen Jesus gefangen nehmen, Petrus wird sein Schwert ziehen und Malchus das Ohr abschlagen. Aber Jesus wird diese Verletzung heilen und Petrus Einhalt gebieten: „Stecke Dein Schwert ein, denn wer zum Schwert greift, kommt dadurch um.“ Dabei ist Petrus hellwach – er, der gerade noch geschlafen hat.

Wir werden am Karfreitag den Altar noch um eine weitere Tür zuschlagen. In der Osternacht dann werden wir hier zusammen singen: „Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet“. Dieses Taizélied kenne ich schon, seit ich mit sechzehn Jahren zum ersten Mal in Taizé gewesen bin. „Bleibet hier und wachet mit mir“ und „Laudate omnes gentes“ das sind die Melodien, die wir mit Taizé verbinden.
Heute singen wir sie nicht. Wir haben es erst überlegt und dann gesagt „Nein“. Denn die Antwort auf die Geschichte von Gethsemane ist nicht, dass wir uns reflexartig hinsetzen und singen: „Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet“.
Wir müssen es nicht besser machen wollen als Petrus und Jakobus und Johannes, aber wir bleiben wach und gehen hinein in die Geschichte: Die Jünger wissen sich nicht zu helfen, sie spüren etwas kommen, was sie nicht aushalten können. Das löst in Menschen entweder Angriff oder Flucht aus. Angriff, Dreinschlagen – das geht, das wird Petrus gleich vormachen. Aber diesen unendlichen Schmerz ertragen, den Schmerz der Welt, den Jesus in diesem Moment zu spüren bekommt? Das können die Jünger nicht aushalten: Sie flüchten in den Schlaf.

Am Anfang der Passionszeit ist es gut zu sehen, wie die Jünger sich zurückziehen, weil sie etwas nicht aushalten können. Zugeschlagen ist die goldene Seite des Altars. Innen stehen sie alle drei: Petrus wird wie Jesus am Kreuz sterben. Johannes hält den Becher, denn er wird den vergifteten Becher trinken müssen. Und Jakobus wird auch als Märtyrer sterben. Sie werden alle drei sterben.
Aber es gibt etwas Schlimmeres als den Tod: Die absolute Sinnlosigkeit.
Jesus ist ganz allein in dem Garten Gethsemane: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen“.
Die Fassungslosigkeit darüber, dass Menschen nicht nur zerstören, was andere Menschen aufgebaut haben, sondern das Leben selbst – dieser Sinnlosigkeit, diesem Bösen schaut Jesus in dieser Nacht direkt und ohne Schutz ins Auge.

Gethsemane heißt Ölmühle, Ölpresse. Heute noch steht ein Ölbaum im Garten Gethsemane, der so alt ist, dass Jesus ihn schon gesehen hat. Im Abendmahl erinnern wir die Worte Jesu: „wenn ihr nicht werdet wie die Körner, die sich hingeben zum Brot des Lebens, wenn ihr euch nicht traut, gekeltert zu werden wie der Wein, wenn ihr euch nicht traut, verwandelt zu werden zu Öl, seid ihr nicht berufen zum Himmelreich“.

Wir brauchen den letzten Tropfen Hoffnung und Glauben, denn die Sinnlosigkeit dieser Welt ist groß. Und wir sind berufen, einander so wichtig zu werden, wie das Brot zum Leben, barmherzig und hilfreich, wie ein heilendes Öl, erfrischend und belebend zum Fest bereit wie der Wein – so ließ Jesus sich verwandeln. Auf dass wir niemals allein gehen, was auch kommt.
Wir haben vorhin den Vers von Dietrich Bonhoeffer gesungen: „Und reichst du uns den Kelch den bittern des Leids bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand“. Es ist wohl der tiefste Moment, dass ein Mensch nachempfunden hat und den gleichen Weg wie Jesus gegangen ist, und es so verdichtet hat, dass wir es nachsprechen und nachsingen können: Du bist nicht allein, du kannst Dein Schicksal aus der Hand Gottes nehmen und Christus geht mit dir. In der tiefsten Nacht ist er wach und gegenwärtig.

Das ist auch unsere Hoffnung, die uns verbindet mit den Menschen in Russland, in der Ukraine, auf der Flucht: Dass wir an dem tiefsten Punkt in Christus verbunden sind, dass wir uns in ihm treffen und finden und dass darin der Anfang von Frieden liegt.

Auch dieser Krieg wird nicht ewig dauern, und er wird dadurch enden, dass Menschen miteinander reden, dass die destruktive Kraft des Bösen überwunden wird. Nicht nur, weil wir wichtige Fluchtwege schaffen, sondern weil es Menschen gibt, die dem Bösen ins Gesicht schauen und es überwinden. Das wird so sein. Gebe Gott, der die Zeit in seinen Händen hält, dass diese Zeit kurz sei und dass vielen Menschen innere seelische Kraft zuwächst, dass sie dem Bösen widerstehen, dann löst es sich auf wie nichts. Das Böse kann nur zerstören, aber eigene Kraft hat es nicht. Deshalb – wo immer der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft uns behütet und segnet – wirst du Wunder erleben und Kräfte, die wir uns allein nicht zutrauen sollten, weil sie aus Gott kommen.
Er allein schenkt sie uns – jetzt und in Ewigkeit.

Amen.

 

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de

Pastorin Susanne Zingel, Sonntag Reminiscere, 13.02.2022

Predigttext Matthäus 26, 36 – 46 Jesus im Garten Gethsemane

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

 

Liebe Gemeinde,

was sollen wir tun, wenn wir „in höchsten Nöten sein“?
Alle Texte und alle Choräle sagen uns an diesem Sonntag: „Dann nimm Zuflucht zu dem Barmherzigen, nimm Zuflucht zu dem Ewigen. Bitte und bete für dich und für alle Menschen und alle Anliegen, die dir am Herzen liegen. Nimm Zuflucht zu Gott, denn er allein ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Deine Perspektive wird sich ändern. Du gewinnst Abstand.

Zwei Geschichten erzählen, wie Jesus Zuflucht genommen hat zu Gott. Öfter wird berichtet: „Jesus aber ging am Abend an einen einsamen Ort und betete“. Das durchzieht die ganzen Evangelien. Aber was er da tat an diesen einsamen Orten, das wird uns nur zweimal erzählt. Am Anfang – davon haben wir am letzten Sonntag Invokavit gehört – da widersteht er dem Teufel mit seiner Versuchung. Das ist der Anfang. Bevor Jesus in der Öffentlichkeit erscheint, bereitet er sich vor. Er fastet und betet in der Wüste, an dem Ort, wo das Volk Israel in die Freiheit gezogen ist. Um ganz klar und vorbereitet anzufangen – damit du am Ende nicht woanders ankommst, als du wolltest.
Darum geht Jesus in die Wüste, und es begegnet ihm der Teufel – das Gestalt gewordene Böse. Und da das Böse so facettenreich ist, in so vielen Gestalten vorkommt, wäre ein Diabolo – ein „Durcheinanderschmeißer“, ein Verführer – die beste Figur, um über das Böse zu reden. In der Wüste widersteht Jesus. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das Gott zu dir spricht – Du sollst Gott nicht versuchen – Nicht mal sehen, was passiert, wenn du alles zerschmetterst und zerschmeißt“. Und: „Du sollst Gott allein anbeten und nichts sonst“, so beginnt Jesus.

Und diese Geschichte spiegelt sich im Garten Gethsemane: Jesus war in der Wüste allein, hier sind drei Jünger dabei. Die kennen wir gut: Petrus, Jakobus und Johannes. Diese drei sind immer dabei, wenn etwas wichtig ist – so wie auf dem Berg der Verklärung.
Im Garten Gethsemane sind sie da – und doch nicht dabei: Sie schlafen ein. Und niemand, kein Mensch war jemals dabei als Jesus gebetet hat: „Mein Vater, mein Vater, wenn es geht, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber Dein Wille geschehe und nicht meiner.“
Es ist die Stunde, wo Jesus unausweichlich sieht, dass er in die Hände der Menschen fallen und sterben wird. Und es ist nicht Angst vor dem Tod, die ihn sagen lässt: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ Es ist etwas anderes. In diesem Moment kommt wieder der Teufel und schiebt zwischen alles, was vorher mit Sinn erfüllt war, eine grauenhafte Sinnlosigkeit. Was, wenn Jesus sich geirrt hat, wenn das hier kein Durchgang ist, der in das Leben führt, sondern einfach in das Nichts, in den Tod? Nicht das Sterben, sondern das Gefühl absoluter Sinnlosigkeit überkommt Jesus, und damit hat er zu kämpfen.

Diese Stunde ist die letzte Chance des Teufels. Das hat mir jemand erzählt, den ich im Hospiz begleiten durfte. Er hatte seinen Frieden gefunden, indem er sich an einem Luther-Zitat festhielt: „… kurz vor dem Tod kommt der Teufel und nimmt alles von dir, was in deinem Leben mit Sinn erfüllt war, mit Glück und Liebe und Heil. Er wird versuchen, dass all das dir entschwindet. Deine Seele ist herausgefordert dem zu widerstehen, und es ist ein Glück, wenn dann die Bilder von Licht, von Wärme und Liebe und Hoffnung in dir stark genug sind.“

Für uns ist es ein Symbol, wenn wir in der Passionszeit den Altar schließen. Wir wissen: Inwendig ist alles golden – und das ist schön: Golden der erste Moment des Auferstandenen, golden hält Maria seit Jahrhunderten ihr Kind im Arm.

Durch die Jahrhunderte werden Menschen immer wieder aufstehen und sie werden sich immer wieder für das Gute einsetzen. Mütter werden immer wieder Kinder in die Welt hineintragen. Es steht da und ist unverrückbar.
Aber es gibt Augenblicke, und die können lang sein – manchmal ein ganzes Leben, da ist die Tür geschlossen. Es ist wie in der Passionszeit, wie ein verschlossener Altar.
Spielen wir etwas nach, gehen wir mit unserer Seele hinein in eine Erfahrung: Heute scheint die Sonne, heute ist Sonntag, wir sind unterwegs, wir machen vielleicht gerade Urlaub – heute kann die Seele Kraft gewinnen, und diese Kraft können wir vielleicht an einem anderen Tag brauchen. Darum feiern wir Gottesdienst: Damit wir – wenn uns das Leben in einen Garten Gethsemane führt, wir etwas haben, das uns widerständig bleiben lässt.
So wie Jesus auf dem Passionsbild auf unserem Altar bruchstückhaft zu erkennen ist: Er kniet aufrecht und betet. Die Jünger hat es dahingezogen, sie sind zusammengesackt, ein Seufzen: „Jetzt werde ich unendlich müde…“
Unendlich müde – aber es wird nur einen Augenblick dauern, da wird Petrus wieder hellwach sein. Ihr könnt es auf dem Altar sehen: Die Soldaten kommen und wollen Jesus gefangen nehmen, Petrus wird sein Schwert ziehen und Malchus das Ohr abschlagen. Aber Jesus wird diese Verletzung heilen und Petrus Einhalt gebieten: „Stecke Dein Schwert ein, denn wer zum Schwert greift, kommt dadurch um.“ Dabei ist Petrus hellwach – er, der gerade noch geschlafen hat.

Wir werden am Karfreitag den Altar noch um eine weitere Tür zuschlagen. In der Osternacht dann werden wir hier zusammen singen: „Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet“. Dieses Taizélied kenne ich schon, seit ich mit sechzehn Jahren zum ersten Mal in Taizé gewesen bin. „Bleibet hier und wachet mit mir“ und „Laudate omnes gentes“ das sind die Melodien, die wir mit Taizé verbinden.
Heute singen wir sie nicht. Wir haben es erst überlegt und dann gesagt „Nein“. Denn die Antwort auf die Geschichte von Gethsemane ist nicht, dass wir uns reflexartig hinsetzen und singen: „Bleibet hier und wachet mit mir, wachet und betet“.
Wir müssen es nicht besser machen wollen als Petrus und Jakobus und Johannes, aber wir bleiben wach und gehen hinein in die Geschichte: Die Jünger wissen sich nicht zu helfen, sie spüren etwas kommen, was sie nicht aushalten können. Das löst in Menschen entweder Angriff oder Flucht aus. Angriff, Dreinschlagen – das geht, das wird Petrus gleich vormachen. Aber diesen unendlichen Schmerz ertragen, den Schmerz der Welt, den Jesus in diesem Moment zu spüren bekommt? Das können die Jünger nicht aushalten: Sie flüchten in den Schlaf.

Am Anfang der Passionszeit ist es gut zu sehen, wie die Jünger sich zurückziehen, weil sie etwas nicht aushalten können. Zugeschlagen ist die goldene Seite des Altars. Innen stehen sie alle drei: Petrus wird wie Jesus am Kreuz sterben. Johannes hält den Becher, denn er wird den vergifteten Becher trinken müssen. Und Jakobus wird auch als Märtyrer sterben. Sie werden alle drei sterben.
Aber es gibt etwas Schlimmeres als den Tod: Die absolute Sinnlosigkeit.
Jesus ist ganz allein in dem Garten Gethsemane: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen“.
Die Fassungslosigkeit darüber, dass Menschen nicht nur zerstören, was andere Menschen aufgebaut haben, sondern das Leben selbst – dieser Sinnlosigkeit, diesem Bösen schaut Jesus in dieser Nacht direkt und ohne Schutz ins Auge.

Gethsemane heißt Ölmühle, Ölpresse. Heute noch steht ein Ölbaum im Garten Gethsemane, der so alt ist, dass Jesus ihn schon gesehen hat. Im Abendmahl erinnern wir die Worte Jesu: „wenn ihr nicht werdet wie die Körner, die sich hingeben zum Brot des Lebens, wenn ihr euch nicht traut, gekeltert zu werden wie der Wein, wenn ihr euch nicht traut, verwandelt zu werden zu Öl, seid ihr nicht berufen zum Himmelreich“.

Wir brauchen den letzten Tropfen Hoffnung und Glauben, denn die Sinnlosigkeit dieser Welt ist groß. Und wir sind berufen, einander so wichtig zu werden, wie das Brot zum Leben, barmherzig und hilfreich, wie ein heilendes Öl, erfrischend und belebend zum Fest bereit wie der Wein – so ließ Jesus sich verwandeln. Auf dass wir niemals allein gehen, was auch kommt.
Wir haben vorhin den Vers von Dietrich Bonhoeffer gesungen: „Und reichst du uns den Kelch den bittern des Leids bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand“. Es ist wohl der tiefste Moment, dass ein Mensch nachempfunden hat und den gleichen Weg wie Jesus gegangen ist, und es so verdichtet hat, dass wir es nachsprechen und nachsingen können: Du bist nicht allein, du kannst Dein Schicksal aus der Hand Gottes nehmen und Christus geht mit dir. In der tiefsten Nacht ist er wach und gegenwärtig.

Das ist auch unsere Hoffnung, die uns verbindet mit den Menschen in Russland, in der Ukraine, auf der Flucht: Dass wir an dem tiefsten Punkt in Christus verbunden sind, dass wir uns in ihm treffen und finden und dass darin der Anfang von Frieden liegt.

Auch dieser Krieg wird nicht ewig dauern, und er wird dadurch enden, dass Menschen miteinander reden, dass die destruktive Kraft des Bösen überwunden wird. Nicht nur, weil wir wichtige Fluchtwege schaffen, sondern weil es Menschen gibt, die dem Bösen ins Gesicht schauen und es überwinden. Das wird so sein. Gebe Gott, der die Zeit in seinen Händen hält, dass diese Zeit kurz sei und dass vielen Menschen innere seelische Kraft zuwächst, dass sie dem Bösen widerstehen, dann löst es sich auf wie nichts. Das Böse kann nur zerstören, aber eigene Kraft hat es nicht. Deshalb – wo immer der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft uns behütet und segnet – wirst du Wunder erleben und Kräfte, die wir uns allein nicht zutrauen sollten, weil sie aus Gott kommen.
Er allein schenkt sie uns – jetzt und in Ewigkeit.

Amen.

 

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
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Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de