Pastorin Susanne Zingel (Predigtreihe „Vater unser“ II)

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

wenn Sie durch den Ort spazieren und Sie kommen am Pastorat vorbei, dann werden Sie sehen, dass dort in diesen Tagen eine Baustelle eingerichtet worden ist. Nach vier Rohrbrüchen in den letzten 2,3 Jahren hat sich unsere Versicherung, eine sehr gute, treue Versicherung freundlich von uns verabschiedet und uns gleichzeitig versichert: Wir sind wieder ganz und gar für euch da, wenn ihr euer Haus saniert. Damit haben wir also angefangen, nachhaltig den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Estrich muss raus und wir schauen, was sich dahinter verbirgt. Immerhin haben wir zwei weitere Rohrbrüche entdeckt. Die waren genau davor waren, sich zu melden. Sie klopften schon von unten ans Parkett und wurden in dieser Woche freigelegt. Da schmunzelt vielleicht manch einer und denkt daran, dass auch schon in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus etwas Ähnliches durchgestanden wurde. Es ist schon eine Erfahrung, wenn sich die eigene Wohnung in eine Baustelle verwandelt. Einiges wird bis auf den Rohbau zurückgeführt. Da stand bis vor ein paar Tagen noch Sofa, Tisch und Küche. Dann legt man diese maroden Rohre frei und es fließt das Wasser. Dann wird auch noch das Wohnzimmer geflutet. Wir kümmern uns natürlich, es kommen die rechten Leute, die da helfen können, aber man steht einfach so davor, man steht in der Tür, ein leeres Zimmer mit Wasser geflutet.

Zum Glück ist ja der Geist von uns Menschen frei und kann über solche Szenerie hinaus denken. Und so komme ich drauf, wer da im Keitumer Pastorat an diesen Tagen aus und einging, der hat eine perfekte Reinszenierung genau der Schlussszene aus dem bekannten Film Stalker von Andrei Tarkowski zu sehen bekommen. Sein Meisterwerk der russischer Filmkunst, Anfang der 70er gedreht. Es ist die Schlussszene zu beschreiben: Ein geöffneter Raum, tropfnass, und drei Männer sitzen vor diesem Raum auf dem Boden. Es ist ein Raum wie auf einer Baustelle, er hat keine Tür, sie schauen sitzend in diesen Raum hinein und diese Tür, die da vielleicht mal war, ist wie weggebrochen, es tropft. Sie sitzen schweigend am Boden, denn sie haben einen weiten Weg hinter sich, hier sind sie jetzt angekommen. Wer den Film gesehen hat, ist mit unterwegs gewesen. Sie haben zu dritt die gefährliche Zone durchquert. Andrei Tarkowski hat den Film gedreht in einer Gegend in Russland, wo man in der Szenerie noch die Schäden des zweiten Weltkriegs sah. Die Panzer, die dort stehen, überwachsen, überwuchert. Was er nicht wusste, war, dass einige Jahre nachdem dieser Film gedreht wurde, dieses Gebiet zum Sperrgebiet nach dem grauenhaften Unglück von Tschernobyl erklärt werden wird. Also es ist eine wirkliche Zone, in der er den Film gedreht hat, die er surreal inszeniert hatte: Drei Männer machen sich auf den Weg durch eine Zone. Dort geschehen unerklärliche Dinge. Plötzlich werden sie an einen anderen Ort versetzt, trennen sich, finden sich wieder, sie gehen durchs Wasser und dann kommen sie an bei diesem Raum, weil das war das  Ziel ihrer Wege. Dieser Raum ist der Ort, an dem sich die Wünsche erfüllen. Wer diesen Raum betritt und sich der Energie dieses Ortes aussetzt, der wird nach Hause gehen und sein innigster, tiefster Wunsch wird in Erfüllung gehen. Aus unterschiedlicher Motivation heraus haben diese drei Männer sich darauf eingelassen, gemeinsam diesen Ort zu finden. Und nun stehen sie davor. Unterwegs sind ihnen Dinge begegnet, Zurückgelassenes von Menschen, die sich schon auf diesen Weg gemacht haben, erschreckende Überreste und ihnen fallen Geschichten ein von Menschen, die schon an diesem Ort waren und zurückkehrten. Der eine ging los und wünschte sich, dass er der reichste Mann im Ort wird. Mit diesem Wunsch betritt er den Raum: Ich möchte reich werden. Einmal im Lotto gewinnen, ganz kindlich naiv steht er in diesem Raum und kommt nach Hause. Er ist nicht der reichste Mann, sondern sein Bruder, mit dem eine eifersuchtsreiche, spannungsvolle Bruderbeziehung hatte, wie Jakob und Esau – und er kam nach Hause und sein Bruder war gestorben. Denn er wusste es nicht, was sein innigster und tiefster Wunsch war, als er so ganz naiv in diesen Raum hinein ging. Und es erfüllte sich etwas anderes, als er dachte. Denn nicht, was du denkst, sondern was dein Innerstes zusammenhält, das erfüllt sich. Und was ist das? Jetzt sitzen diese drei Männer dort und sie haben einen weiten Weg hinter sich und sie sitzen vor dem Raum – nur wir sitzen mit der Kamera im Raum und schauen hinaus, schauen auf die Männer, wie sie hineinschauen und an dieser Grenze verharren. Sie sitzen am Boden, keiner spricht. Keiner der Männer geht in den Raum hinein. Denn sie sind unsicher. Was wird geschehen, wenn ihre geheimsten Wünsche sich erfüllen? Was sind wohl die geheimsten Wünsche, die Antriebe deiner Seele? ­Was kommt da wohl nach außen –Liebe, Güte Erbarmen? Wie stark widerstreitet das mit Neid, Gier, Eifersucht? Was treibt uns um?

Wir sind nicht imstande bis ins Innerste zu klären, wer wir sind, was wir wollen, was uns umtreibt, was verlogen ist oder scheinheilig, eingebildet oder wahr und wahrhaftig. Der Psalmist betet: So prüfe mich Gott, sieh wie ich es meine. Sieh, ob ich auf gutem Wege bin und leite mich auf ewigem Weg. So betet der Psalmist und so betet auch Salomo vor der Tür zum Tempel: Gott du wollest hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und gnädig sein und schaffen, dass du jedem gibst, wie er gewandelt ist, wie du sein Herz erkennst – denn du allein kennst das Herz aller Menschenkinder.

Das Gebet, zu beten, heißt einzutreten in diesen innersten Raum, in dem sich unser Innerstes klärt. Das Gebet heißt einzutreten in einen Raum bei Gott, in einen Raum, der uns überrascht, enttarnt, entlarvt, uns der Wahrheit näher bringt. Wir selber können uns diesen Raum nicht aufschließen, wir können uns aufmachen, die Stille suchen, am Meer  entlang gehen, eine Kirche besuchen, in den Gottesdienst gehen. Das uns dann aber dieser Raum aufgeht, dieser innerste Raum, das ist das Werk Gottes, wir werden beschenkt – das ist eine Gnade, es hat aber auch seine bedrohlichen Seiten.

Wir haben es gehört im Lukasevangelium: Die Jünger bitten Jesus: Lehre uns beten! Hilf uns, hineinzukommen in diesen innersten Raum der Verbindung zu Gott Sie fragen Jesus, weil sie erleben, was einer vermag, der da hineingeht und wieder hinauskommt. Jesus war auf jeden Fall ein Mensch, der in diesen innersten Raum hineinging und seine Wünsche erfüllt sah und es waren Wünsche aus dem Herzen Gottes gesprochen, voller Liebe, Wärme und Güte, deshalb erfüllten sie sich. Weil Jesus hineingehen konnte in diesen Raum kam er wieder zurück zu den Menschen und konnte heilen, übers Wasser gehen und den Sturm stillen und wieder hineingehen in das innerste Herz Gottes und wieder zurückgehen. In dieser Wechselwirkung erleben die Jünger Jesus und fragen sich: Wie macht er das? Lehre uns das! Und ganz bestimmt haben sie an der Stelle Großes sich vorgestellt. Jesus hatte sie ja auch schon losgeschickt: Geht und heilt selber! Und sie kamen wieder und sagten:  Wir können es nicht. Petrus versuchte auch, übers Wasser zu wandeln. Er kann es nicht. Also sind sie schon sehr weit voran, wenn sie nicht sagen: Jesus wie machst du das mit deinen Wundern? Sondern sie sind schon einen Schritt weiter, wenn sie fragen: Jesus, wie geht’s du hinein in das Innerste Gottes und wie kommst du zurück mit diesen besonderen Kräften? Das Geheimnis dieser inneren Verbindung ist ihnen schon aufgegangen. Und bestimmt haben sie einen großen und mystischen Weg sich vorgestellt, einen geheimen und wir haben es gehört und beten es selber immer wieder: Wenn ihr betet, dann sprecht: Unser tägliches Brot gib uns heute!  Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Diese Bitten sind das Herzstück des Vaterunsers. Und die Jünger, wenn sie sich was Großes vorgestellt haben von Läuterung und Erkenntnis, innerer Erleuchtung, denen wird gesagt: Faltet die Hände und betet: Gib uns unser täglich Brot. Das sind Jesu eigene Worte und zugleich können wir ihn sehen, wie er am Rand vom Ährenfeld entlanggeht, wo Schabbat ist, aber warum ist das so wichtig? Er geht dort entlang und pflückt eine Handvoll Ähren und Körner und zerreibt sie zwischen den Fingern und sagt: Davon leben wir. Und am Abend nimmt er das Brot und bricht es. Von diesem Brot leben wir und essen wir. Wir leben alle von einer Erde, vergesst das nicht! Und er nimmt das Brot und bricht es, nicht nur an seinem letzten Abend und er teilt es. Werdet Menschen, die das, was sie zum Leben brauchen, miteinander teilen! Bittet täglich darum: Gib uns unser täglich Brot! Gott, der da verbindet Himmel und Erde, der möge euch erden! Wenn ihr den Himmel anruft, dann betet so einfach und so schlicht.

Wenn wir einmal eingehen in die Geschichte und andere werden zurückschauen auf uns und unsere Zeit, dann werden sie über uns sagen, dass wir zu denen gehören, die Dinge verbraucht haben in einem Maß, wie keine Generation zuvor. Möge Gott uns segnen, dass auch keine Generation nach uns soviel verbraucht wie wir es tun, weil wir es oft auch gar nicht besser wissen. Unsere innere Einstellung mag nicht anders sein als die anderer Menschen zu anderen Zeiten. Menschen neigen dazu, immer mehr zu wollen. Aber keine Generation hatte die Möglichkeit, die Ressourcen so auszubeuten, wie die unsere.

Dies heute zu verbinde: Gib uns unser tägliches Brot. Das ist sogleich verbunden mit dem, was darauf folgt: Vergib uns unsere Schuld! Denn wir wissen nicht, was wir wirklich brauchen. Und vergib uns unsere Schuld, denn wir wissen gar nicht, wie viel wir eigentlich verbrauchen, mit allem was wir nutzen, wie wir uns bewegen. Gott allein weiß es, wie teuer die Erde dafür bezahlt und andere Menschen an anderen Orten auf dieser Welt. Gib uns unser täglich Brot und vergib uns unsere Schuld! Das ist nicht moralisch gemeint, denn wir beten und es ist keine Belehrung von Jesus, sondern es ist eine Wahrheit, dass wir Menschen immer und immer wieder schuldig werden aneinander. Erinnern wir uns an das erste Bild: der Eintritt in den Raum, in dem sich alle Wünsche erfüllen – Wer weiß denn, was sich erfüllt?

Jesu Bitten hat er so durchgebetet, dass sie wahr werden, wenn er sagt: Gib uns unser täglich Brot! Und er nahm das Brot, dankte, brach es und sprach: Nehmt hin, denn dies bin ich selbst, mein Leib. Wer  in dieses Gebet eintaucht, verwandelt sich in einen Menschen, der anderen Menschen so wichtig werden kann wie das Brot zum Leben.

Und vergib uns unsere Schuld, hat Jesus so durchgebetet, dass er noch am Ende betet: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Aus dem Herzen Gottes kam Jesus und seine Wünsche haben sich erfüllt. Seine Gebete wurden erhört. In seinem Gebet sind wir mit ihm und miteinander verbunden. Auf, dass auch wir den Weg finden, zu uns selbst, zu einander, uns wiederfinden in Gott, demütiger, wahrhaftig, hörend, betend, teilend und behütet durch einen Frieden höher als alle Vernunft, der unsere Herzen und Sinne bewahrt, in Christus Jesus, Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de

Pastorin Susanne Zingel (Predigtreihe „Vater unser“ II)

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

wenn Sie durch den Ort spazieren und Sie kommen am Pastorat vorbei, dann werden Sie sehen, dass dort in diesen Tagen eine Baustelle eingerichtet worden ist. Nach vier Rohrbrüchen in den letzten 2,3 Jahren hat sich unsere Versicherung, eine sehr gute, treue Versicherung freundlich von uns verabschiedet und uns gleichzeitig versichert: Wir sind wieder ganz und gar für euch da, wenn ihr euer Haus saniert. Damit haben wir also angefangen, nachhaltig den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Estrich muss raus und wir schauen, was sich dahinter verbirgt. Immerhin haben wir zwei weitere Rohrbrüche entdeckt. Die waren genau davor waren, sich zu melden. Sie klopften schon von unten ans Parkett und wurden in dieser Woche freigelegt. Da schmunzelt vielleicht manch einer und denkt daran, dass auch schon in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus etwas Ähnliches durchgestanden wurde. Es ist schon eine Erfahrung, wenn sich die eigene Wohnung in eine Baustelle verwandelt. Einiges wird bis auf den Rohbau zurückgeführt. Da stand bis vor ein paar Tagen noch Sofa, Tisch und Küche. Dann legt man diese maroden Rohre frei und es fließt das Wasser. Dann wird auch noch das Wohnzimmer geflutet. Wir kümmern uns natürlich, es kommen die rechten Leute, die da helfen können, aber man steht einfach so davor, man steht in der Tür, ein leeres Zimmer mit Wasser geflutet.

Zum Glück ist ja der Geist von uns Menschen frei und kann über solche Szenerie hinaus denken. Und so komme ich drauf, wer da im Keitumer Pastorat an diesen Tagen aus und einging, der hat eine perfekte Reinszenierung genau der Schlussszene aus dem bekannten Film Stalker von Andrei Tarkowski zu sehen bekommen. Sein Meisterwerk der russischer Filmkunst, Anfang der 70er gedreht. Es ist die Schlussszene zu beschreiben: Ein geöffneter Raum, tropfnass, und drei Männer sitzen vor diesem Raum auf dem Boden. Es ist ein Raum wie auf einer Baustelle, er hat keine Tür, sie schauen sitzend in diesen Raum hinein und diese Tür, die da vielleicht mal war, ist wie weggebrochen, es tropft. Sie sitzen schweigend am Boden, denn sie haben einen weiten Weg hinter sich, hier sind sie jetzt angekommen. Wer den Film gesehen hat, ist mit unterwegs gewesen. Sie haben zu dritt die gefährliche Zone durchquert. Andrei Tarkowski hat den Film gedreht in einer Gegend in Russland, wo man in der Szenerie noch die Schäden des zweiten Weltkriegs sah. Die Panzer, die dort stehen, überwachsen, überwuchert. Was er nicht wusste, war, dass einige Jahre nachdem dieser Film gedreht wurde, dieses Gebiet zum Sperrgebiet nach dem grauenhaften Unglück von Tschernobyl erklärt werden wird. Also es ist eine wirkliche Zone, in der er den Film gedreht hat, die er surreal inszeniert hatte: Drei Männer machen sich auf den Weg durch eine Zone. Dort geschehen unerklärliche Dinge. Plötzlich werden sie an einen anderen Ort versetzt, trennen sich, finden sich wieder, sie gehen durchs Wasser und dann kommen sie an bei diesem Raum, weil das war das  Ziel ihrer Wege. Dieser Raum ist der Ort, an dem sich die Wünsche erfüllen. Wer diesen Raum betritt und sich der Energie dieses Ortes aussetzt, der wird nach Hause gehen und sein innigster, tiefster Wunsch wird in Erfüllung gehen. Aus unterschiedlicher Motivation heraus haben diese drei Männer sich darauf eingelassen, gemeinsam diesen Ort zu finden. Und nun stehen sie davor. Unterwegs sind ihnen Dinge begegnet, Zurückgelassenes von Menschen, die sich schon auf diesen Weg gemacht haben, erschreckende Überreste und ihnen fallen Geschichten ein von Menschen, die schon an diesem Ort waren und zurückkehrten. Der eine ging los und wünschte sich, dass er der reichste Mann im Ort wird. Mit diesem Wunsch betritt er den Raum: Ich möchte reich werden. Einmal im Lotto gewinnen, ganz kindlich naiv steht er in diesem Raum und kommt nach Hause. Er ist nicht der reichste Mann, sondern sein Bruder, mit dem eine eifersuchtsreiche, spannungsvolle Bruderbeziehung hatte, wie Jakob und Esau – und er kam nach Hause und sein Bruder war gestorben. Denn er wusste es nicht, was sein innigster und tiefster Wunsch war, als er so ganz naiv in diesen Raum hinein ging. Und es erfüllte sich etwas anderes, als er dachte. Denn nicht, was du denkst, sondern was dein Innerstes zusammenhält, das erfüllt sich. Und was ist das? Jetzt sitzen diese drei Männer dort und sie haben einen weiten Weg hinter sich und sie sitzen vor dem Raum – nur wir sitzen mit der Kamera im Raum und schauen hinaus, schauen auf die Männer, wie sie hineinschauen und an dieser Grenze verharren. Sie sitzen am Boden, keiner spricht. Keiner der Männer geht in den Raum hinein. Denn sie sind unsicher. Was wird geschehen, wenn ihre geheimsten Wünsche sich erfüllen? Was sind wohl die geheimsten Wünsche, die Antriebe deiner Seele? ­Was kommt da wohl nach außen –Liebe, Güte Erbarmen? Wie stark widerstreitet das mit Neid, Gier, Eifersucht? Was treibt uns um?

Wir sind nicht imstande bis ins Innerste zu klären, wer wir sind, was wir wollen, was uns umtreibt, was verlogen ist oder scheinheilig, eingebildet oder wahr und wahrhaftig. Der Psalmist betet: So prüfe mich Gott, sieh wie ich es meine. Sieh, ob ich auf gutem Wege bin und leite mich auf ewigem Weg. So betet der Psalmist und so betet auch Salomo vor der Tür zum Tempel: Gott du wollest hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und gnädig sein und schaffen, dass du jedem gibst, wie er gewandelt ist, wie du sein Herz erkennst – denn du allein kennst das Herz aller Menschenkinder.

Das Gebet, zu beten, heißt einzutreten in diesen innersten Raum, in dem sich unser Innerstes klärt. Das Gebet heißt einzutreten in einen Raum bei Gott, in einen Raum, der uns überrascht, enttarnt, entlarvt, uns der Wahrheit näher bringt. Wir selber können uns diesen Raum nicht aufschließen, wir können uns aufmachen, die Stille suchen, am Meer  entlang gehen, eine Kirche besuchen, in den Gottesdienst gehen. Das uns dann aber dieser Raum aufgeht, dieser innerste Raum, das ist das Werk Gottes, wir werden beschenkt – das ist eine Gnade, es hat aber auch seine bedrohlichen Seiten.

Wir haben es gehört im Lukasevangelium: Die Jünger bitten Jesus: Lehre uns beten! Hilf uns, hineinzukommen in diesen innersten Raum der Verbindung zu Gott Sie fragen Jesus, weil sie erleben, was einer vermag, der da hineingeht und wieder hinauskommt. Jesus war auf jeden Fall ein Mensch, der in diesen innersten Raum hineinging und seine Wünsche erfüllt sah und es waren Wünsche aus dem Herzen Gottes gesprochen, voller Liebe, Wärme und Güte, deshalb erfüllten sie sich. Weil Jesus hineingehen konnte in diesen Raum kam er wieder zurück zu den Menschen und konnte heilen, übers Wasser gehen und den Sturm stillen und wieder hineingehen in das innerste Herz Gottes und wieder zurückgehen. In dieser Wechselwirkung erleben die Jünger Jesus und fragen sich: Wie macht er das? Lehre uns das! Und ganz bestimmt haben sie an der Stelle Großes sich vorgestellt. Jesus hatte sie ja auch schon losgeschickt: Geht und heilt selber! Und sie kamen wieder und sagten:  Wir können es nicht. Petrus versuchte auch, übers Wasser zu wandeln. Er kann es nicht. Also sind sie schon sehr weit voran, wenn sie nicht sagen: Jesus wie machst du das mit deinen Wundern? Sondern sie sind schon einen Schritt weiter, wenn sie fragen: Jesus, wie geht’s du hinein in das Innerste Gottes und wie kommst du zurück mit diesen besonderen Kräften? Das Geheimnis dieser inneren Verbindung ist ihnen schon aufgegangen. Und bestimmt haben sie einen großen und mystischen Weg sich vorgestellt, einen geheimen und wir haben es gehört und beten es selber immer wieder: Wenn ihr betet, dann sprecht: Unser tägliches Brot gib uns heute!  Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Diese Bitten sind das Herzstück des Vaterunsers. Und die Jünger, wenn sie sich was Großes vorgestellt haben von Läuterung und Erkenntnis, innerer Erleuchtung, denen wird gesagt: Faltet die Hände und betet: Gib uns unser täglich Brot. Das sind Jesu eigene Worte und zugleich können wir ihn sehen, wie er am Rand vom Ährenfeld entlanggeht, wo Schabbat ist, aber warum ist das so wichtig? Er geht dort entlang und pflückt eine Handvoll Ähren und Körner und zerreibt sie zwischen den Fingern und sagt: Davon leben wir. Und am Abend nimmt er das Brot und bricht es. Von diesem Brot leben wir und essen wir. Wir leben alle von einer Erde, vergesst das nicht! Und er nimmt das Brot und bricht es, nicht nur an seinem letzten Abend und er teilt es. Werdet Menschen, die das, was sie zum Leben brauchen, miteinander teilen! Bittet täglich darum: Gib uns unser täglich Brot! Gott, der da verbindet Himmel und Erde, der möge euch erden! Wenn ihr den Himmel anruft, dann betet so einfach und so schlicht.

Wenn wir einmal eingehen in die Geschichte und andere werden zurückschauen auf uns und unsere Zeit, dann werden sie über uns sagen, dass wir zu denen gehören, die Dinge verbraucht haben in einem Maß, wie keine Generation zuvor. Möge Gott uns segnen, dass auch keine Generation nach uns soviel verbraucht wie wir es tun, weil wir es oft auch gar nicht besser wissen. Unsere innere Einstellung mag nicht anders sein als die anderer Menschen zu anderen Zeiten. Menschen neigen dazu, immer mehr zu wollen. Aber keine Generation hatte die Möglichkeit, die Ressourcen so auszubeuten, wie die unsere.

Dies heute zu verbinde: Gib uns unser tägliches Brot. Das ist sogleich verbunden mit dem, was darauf folgt: Vergib uns unsere Schuld! Denn wir wissen nicht, was wir wirklich brauchen. Und vergib uns unsere Schuld, denn wir wissen gar nicht, wie viel wir eigentlich verbrauchen, mit allem was wir nutzen, wie wir uns bewegen. Gott allein weiß es, wie teuer die Erde dafür bezahlt und andere Menschen an anderen Orten auf dieser Welt. Gib uns unser täglich Brot und vergib uns unsere Schuld! Das ist nicht moralisch gemeint, denn wir beten und es ist keine Belehrung von Jesus, sondern es ist eine Wahrheit, dass wir Menschen immer und immer wieder schuldig werden aneinander. Erinnern wir uns an das erste Bild: der Eintritt in den Raum, in dem sich alle Wünsche erfüllen – Wer weiß denn, was sich erfüllt?

Jesu Bitten hat er so durchgebetet, dass sie wahr werden, wenn er sagt: Gib uns unser täglich Brot! Und er nahm das Brot, dankte, brach es und sprach: Nehmt hin, denn dies bin ich selbst, mein Leib. Wer  in dieses Gebet eintaucht, verwandelt sich in einen Menschen, der anderen Menschen so wichtig werden kann wie das Brot zum Leben.

Und vergib uns unsere Schuld, hat Jesus so durchgebetet, dass er noch am Ende betet: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Aus dem Herzen Gottes kam Jesus und seine Wünsche haben sich erfüllt. Seine Gebete wurden erhört. In seinem Gebet sind wir mit ihm und miteinander verbunden. Auf, dass auch wir den Weg finden, zu uns selbst, zu einander, uns wiederfinden in Gott, demütiger, wahrhaftig, hörend, betend, teilend und behütet durch einen Frieden höher als alle Vernunft, der unsere Herzen und Sinne bewahrt, in Christus Jesus, Amen.

Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de