Liebe Gemeinde,
dies ist das 2. Weihnachten, das wir mit Corona erleben. Im ersten Jahr waren wir alle in einem Ausnahmezustand – nichts ging einfach. In diesem Jahr ist die Weihnachtsfrage: „Können wir uns besuchen?“ Die Großeltern haben sich impfen lassen, aber Omikron steht vor der Tür. Was ist möglich? Was geht und was nicht?
Weihnachten möchten wir mit unserer Familie zusammen sein. Junge Leute fahren nach Hause zu ihren Eltern, die Großeltern werden abgeholt. Und durch viele Pläne macht Corona einen dicken Strich.
Hier in diesem Gottesdienst feiern einige von Euch, die lieber mit ihren Enkeln im Krippenspiel gewesen wären. Aber dann kam die Nachricht, der letzte Test von der Mutter der Freundin der Enkelin war positiv – und nun ist die ganze Familie Quarantäne. „Ihr könnt nicht kommen, es geht nicht.“
Weihnachten besuche ich meine Familie – das klingt so selbstverständlich, und ist es überhaupt nicht mehr.
Das ist der Anfang von einem Faden guter Gedanken: „Besuchen“ heißt: „Ich gehe los und suche dich.“
„Ich besuche dich, ich suche dich.“ Dieser Zusammenhang stammt aus Zeiten, wo es nicht möglich war, mit einem Handy den Standort eines anderen Menschen zu orten. Gesellschaften waren nicht so mobil wie heute, und die Möglichkeiten, einen Besuch anzukündigen, waren begrenzt. Anders als heutzutage konnte man zwar davon ausgehen, dass der andere da ist – aber wo treibt er sich gerade herum? Wenn man ankam am Haus, im Dorf, dann ging das Suchen los: Wo ist der andere? Draußen bei den Tieren, im Garten, auf dem Dachboden oder auf dem Feld?
Manche erinnern sich vielleicht noch an Jose Ramón Morán. Er hat unsere Gemeinde öfter besucht und viele Gottesdienste hier gefeiert. Ein Gottsuchender und Pilger, bei dem es vorkam, dass er am Abend sagte, morgen gehe ich nach Jerusalem – und dann war er am nächsten Morgen wirklich fort. Und wenn er sagte „Gehen“, dann meinte er wirklich „zu Fuß gehen“. Er hat bis heute kein Handy, aber immer eine Piccoloflöte mit einem hellen Klang dabei. Einmal machten wir in der Toskana beim Kloster San Antimo Ferien, und er sagte: „Ich bin dann auch in der Gegend, wir treffen uns.“ Alle Frage nach dem „wo und wann“ ließ er offen: „Keine Sorge, wir finden uns.“ Und so war es. Schon von weitem war an einem Nachmittag erst seine Flöte zu hören, dann kam Jose auch schon die Straße entlang.
Ich besuche dich, ich finde dich, ich gebe Dir ein Zeichen, dass ich da bin.
So besucht uns Gott in dieser Nacht. Er kommt nicht „einfach mal vorbei“. Gott sucht uns und gibt uns Zeichen, damit wir ihn finden.
Gott selbst hätte das nicht nötig, denn Gott ist uns allezeit näher als wir uns selbst. Er ist immer bei uns, in unserem Herzschlag, auf all unseren Wegen. Und du bist Teil einer großen Geschichte, die in Gott ihren Ursprung hat. Du bist ein Teil dieses Kosmos, du spielst mit in der großen Menschheitsgeschichte, du selbst bist ein Wunder, einmalig und kostbar. Und das feiern wir heute, denn Gott, der dir das alles geschenkt hat, möchte dich besuchen und Dich daran erinnern, dass es so ist: „Du bist ein Wunder“.
„Du bist ein Wunder“ – das Gefühl überkam auch die Hirten im Stall von Bethlehem, als sie das Kind in der Krippe sahen. „Es ist ein Wunder, dass du hier bei uns auf die Welt kommst.“ Sie waren gerührt wie Menschen, die es gar nicht fassen können.
Die Hirten waren Außenseiter, Outlaws, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte. Im Stall von Bethlehem kommen sie an, bei sich selbst und bei anderen Menschen, denn dieses Kind hat sie gefunden, berührt und weich gemacht.
Es gibt eine ganze Filmindustrie, die solche Augenblicke inszeniert: „Vermisst, verschollen, Ich suche dich.“ Da werden verlorene Kinder, verschollene Mütter, Väter oder verstreute Geschwister wieder zusammengebracht. Manchmal führt die dafür notwendige Suche um die ganze Erde. Aber immer gibt es den einen Moment, wenn sich zwei Menschen in die Arme fallen und nicht mehr loslassen möchten. Immer fließen Tränen, die Kamera blendet aus. Denn bei der Suche gehen alle mit, das Finden aber ist ein ganz inniger und privater Moment, der uns aber alle in der Sehnsucht, selbst anzukommen und gefunden zu werden, verbindet.
Gott sucht uns, er ist uns immer nahe, und wenn wir das auch immer wären – wir wären die glücklichsten Menschen. Immer fließen Tränen der Rührung, wenn wir uns wieder auf die Spur kommen. Unser Leben wird leichter und ehrlicher. Offen bleibt die Frage, warum es Menschen so schwerfällt, diese eigene Würde zu spüren, eine vorbehaltlose Liebe zu leben, ihr Herzenslicht leuchten zu lassen. Es ist so: Die Hirten sind draußen, und keiner will etwas mit ihnen zu tun haben, aber sie kommen an, treten ins Licht und da sind sie, weil Gott uns besucht und uns hilft, einander zu sehen in seinem Licht.
Gott kommt zu dir und besucht dich. Und woran merke ich es? Wohl daran, dass es in dem Augenblick nichts Wichtigeres gibt, nichts zu schaffen und nichts zu beweisen ist, sondern einfach nur da zu sein. „Ich fahre nach Hause“ heißt, ich besuche die Menschen, bei denen sich dieses Gefühl einstellt: Es ist ein Glück, dass Du da bist.
Dann stellen sich die Hirten und Könige neben uns und feiern mit dir das Kind in der Krippe. Das Kind in der Krippe lacht dich an und lädt dich ein, Ausschau zu halten nach einer Welt voller Wunder, voller Liebe, Erbarmen und tiefer Mitmenschlichkeit.
Für alles das sind wir gemacht und das finden wir in Gott.
Corona hat viel Trauer und Kummer gebracht. Aber gerade, weil wir über jeden Kontakt nachdenken müssen, könnte es sein, dass wir in diesem Jahr besonders aufmerksam sind und den Moment nicht verpassen, wenn Gott uns besucht. Gebe Gott uns seine Gnade, dass wir wie die Hirten im Stall von Bethlehem ankommen und erleben, dass der Friede Gottes höher als alle Vernunft uns behütet mit allem, was wir sind, in Jesus Christus unserm Herrn.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de
Liebe Gemeinde,
dies ist das 2. Weihnachten, das wir mit Corona erleben. Im ersten Jahr waren wir alle in einem Ausnahmezustand – nichts ging einfach. In diesem Jahr ist die Weihnachtsfrage: „Können wir uns besuchen?“ Die Großeltern haben sich impfen lassen, aber Omikron steht vor der Tür. Was ist möglich? Was geht und was nicht?
Weihnachten möchten wir mit unserer Familie zusammen sein. Junge Leute fahren nach Hause zu ihren Eltern, die Großeltern werden abgeholt. Und durch viele Pläne macht Corona einen dicken Strich.
Hier in diesem Gottesdienst feiern einige von Euch, die lieber mit ihren Enkeln im Krippenspiel gewesen wären. Aber dann kam die Nachricht, der letzte Test von der Mutter der Freundin der Enkelin war positiv – und nun ist die ganze Familie Quarantäne. „Ihr könnt nicht kommen, es geht nicht.“
Weihnachten besuche ich meine Familie – das klingt so selbstverständlich, und ist es überhaupt nicht mehr.
Das ist der Anfang von einem Faden guter Gedanken: „Besuchen“ heißt: „Ich gehe los und suche dich.“
„Ich besuche dich, ich suche dich.“ Dieser Zusammenhang stammt aus Zeiten, wo es nicht möglich war, mit einem Handy den Standort eines anderen Menschen zu orten. Gesellschaften waren nicht so mobil wie heute, und die Möglichkeiten, einen Besuch anzukündigen, waren begrenzt. Anders als heutzutage konnte man zwar davon ausgehen, dass der andere da ist – aber wo treibt er sich gerade herum? Wenn man ankam am Haus, im Dorf, dann ging das Suchen los: Wo ist der andere? Draußen bei den Tieren, im Garten, auf dem Dachboden oder auf dem Feld?
Manche erinnern sich vielleicht noch an Jose Ramón Morán. Er hat unsere Gemeinde öfter besucht und viele Gottesdienste hier gefeiert. Ein Gottsuchender und Pilger, bei dem es vorkam, dass er am Abend sagte, morgen gehe ich nach Jerusalem – und dann war er am nächsten Morgen wirklich fort. Und wenn er sagte „Gehen“, dann meinte er wirklich „zu Fuß gehen“. Er hat bis heute kein Handy, aber immer eine Piccoloflöte mit einem hellen Klang dabei. Einmal machten wir in der Toskana beim Kloster San Antimo Ferien, und er sagte: „Ich bin dann auch in der Gegend, wir treffen uns.“ Alle Frage nach dem „wo und wann“ ließ er offen: „Keine Sorge, wir finden uns.“ Und so war es. Schon von weitem war an einem Nachmittag erst seine Flöte zu hören, dann kam Jose auch schon die Straße entlang.
Ich besuche dich, ich finde dich, ich gebe Dir ein Zeichen, dass ich da bin.
So besucht uns Gott in dieser Nacht. Er kommt nicht „einfach mal vorbei“. Gott sucht uns und gibt uns Zeichen, damit wir ihn finden.
Gott selbst hätte das nicht nötig, denn Gott ist uns allezeit näher als wir uns selbst. Er ist immer bei uns, in unserem Herzschlag, auf all unseren Wegen. Und du bist Teil einer großen Geschichte, die in Gott ihren Ursprung hat. Du bist ein Teil dieses Kosmos, du spielst mit in der großen Menschheitsgeschichte, du selbst bist ein Wunder, einmalig und kostbar. Und das feiern wir heute, denn Gott, der dir das alles geschenkt hat, möchte dich besuchen und Dich daran erinnern, dass es so ist: „Du bist ein Wunder“.
„Du bist ein Wunder“ – das Gefühl überkam auch die Hirten im Stall von Bethlehem, als sie das Kind in der Krippe sahen. „Es ist ein Wunder, dass du hier bei uns auf die Welt kommst.“ Sie waren gerührt wie Menschen, die es gar nicht fassen können.
Die Hirten waren Außenseiter, Outlaws, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte. Im Stall von Bethlehem kommen sie an, bei sich selbst und bei anderen Menschen, denn dieses Kind hat sie gefunden, berührt und weich gemacht.
Es gibt eine ganze Filmindustrie, die solche Augenblicke inszeniert: „Vermisst, verschollen, Ich suche dich.“ Da werden verlorene Kinder, verschollene Mütter, Väter oder verstreute Geschwister wieder zusammengebracht. Manchmal führt die dafür notwendige Suche um die ganze Erde. Aber immer gibt es den einen Moment, wenn sich zwei Menschen in die Arme fallen und nicht mehr loslassen möchten. Immer fließen Tränen, die Kamera blendet aus. Denn bei der Suche gehen alle mit, das Finden aber ist ein ganz inniger und privater Moment, der uns aber alle in der Sehnsucht, selbst anzukommen und gefunden zu werden, verbindet.
Gott sucht uns, er ist uns immer nahe, und wenn wir das auch immer wären – wir wären die glücklichsten Menschen. Immer fließen Tränen der Rührung, wenn wir uns wieder auf die Spur kommen. Unser Leben wird leichter und ehrlicher. Offen bleibt die Frage, warum es Menschen so schwerfällt, diese eigene Würde zu spüren, eine vorbehaltlose Liebe zu leben, ihr Herzenslicht leuchten zu lassen. Es ist so: Die Hirten sind draußen, und keiner will etwas mit ihnen zu tun haben, aber sie kommen an, treten ins Licht und da sind sie, weil Gott uns besucht und uns hilft, einander zu sehen in seinem Licht.
Gott kommt zu dir und besucht dich. Und woran merke ich es? Wohl daran, dass es in dem Augenblick nichts Wichtigeres gibt, nichts zu schaffen und nichts zu beweisen ist, sondern einfach nur da zu sein. „Ich fahre nach Hause“ heißt, ich besuche die Menschen, bei denen sich dieses Gefühl einstellt: Es ist ein Glück, dass Du da bist.
Dann stellen sich die Hirten und Könige neben uns und feiern mit dir das Kind in der Krippe. Das Kind in der Krippe lacht dich an und lädt dich ein, Ausschau zu halten nach einer Welt voller Wunder, voller Liebe, Erbarmen und tiefer Mitmenschlichkeit.
Für alles das sind wir gemacht und das finden wir in Gott.
Corona hat viel Trauer und Kummer gebracht. Aber gerade, weil wir über jeden Kontakt nachdenken müssen, könnte es sein, dass wir in diesem Jahr besonders aufmerksam sind und den Moment nicht verpassen, wenn Gott uns besucht. Gebe Gott uns seine Gnade, dass wir wie die Hirten im Stall von Bethlehem ankommen und erleben, dass der Friede Gottes höher als alle Vernunft uns behütet mit allem, was wir sind, in Jesus Christus unserm Herrn.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Severin
Pröstwai 20 • 25980 Sylt/Keitum
Telefon 04651/31713 • Fax 04651/35585 • kirchenbuero@st-severin.de